Evo Morales als Vorreiter für Kinderarbeit

Evo Morales als Vorreiter für Kinderarbeit Quito, Ceremonia de entrega de las "Llaves de la Ciudad"Heiße Eisen: Wie jetzt? Sie finden Kinderarbeit nicht gut! Selbstverständlich folgt jetzt reflexartig und wohlstandsbedingt die Reaktion: „das geht doch gar nicht“! Nur auf die Resultate der vielfältigen Kinderarbeit aus aller Herren Länder möchten wir natürlich alle nicht verzichten. Ob es die billigen Jeans sind, die netten kleinen Spielzeuge für unsere eigene Brut oder der tausendfache andere Nippes den wir aus Asien, Afrika und Südamerika unentwegt importieren. Selbstverständlich schützen wir unsere Kinder vor derlei Erscheinungen und feiern es als Modernisierung unserer doch so zivilisierten Gesellschaft. Das war es dann auch schon, danach kommt wieder die Doppelmoral.

Jetzt macht der bolivianische Staatschef, Evo Morales, von sich reden, indem er gegen ein generelles Verbot von Kinderarbeit votiert und diese auch nicht grundsätzlich für verwerflich hält. Wie zu erwarten, ist das weltweite Protestgeschrei jetzt groß. Zu seiner eigenen Entwicklungsgeschichte muss man anfügen, dass er selbst einst als Kinderarbeiter tätig war (oder sein musste), er weiß also durchaus wovon er redet. Viel interessanter für diese Debatte sind die sozialen Aspekte, die sich ergeben, wenn man versucht ein wenig tiefer in seine Argumentation einzusteigen. Gleiches gilt für die in Südamerika diskutierte Altersgrenze für die Kinderarbeit von 14 Jahren, die er ebenso infrage stellt. Und gleich vorweg setzt er die Prioritäten an einer anderen Stelle, indem er sagt, dass die arbeitenden Kinder angemessen zu behandeln sind, was immer wir uns jetzt darunter vorstellen mögen. Er verbindet es mit dem Gedanken, dass Kinder grundsätzlich „nicht ausgenutzt“ werden sollen.

Weiter betont er in der Debatte, dass der Staat die angemessene Behandlung und den Schutz der Kinder sicherzustellen habe. Dies impliziert auch Regelungen für Not leidende Familien, die gezwungen sind ihre Kinder zur Arbeit zu schicken, weil alles weitere mit Blick auf eine soziale Sicherung der Familien dort nicht gegeben ist. Bolivien zählt übrigens zu den ärmsten Ländern Südamerikas, dessen erster indigene Präsident Evo Morales ist. Spätestens an dieser Stelle dürfte dem Leser klar werden, dass in solchen Ländern die Uhr generell anders tickt, als hier bei uns im wohlhabenden Europa und wir dementsprechend unseren Blick ein wenig den Realitäten anpassen müssen.

In Bolivien ist derzeit das Parlament mit einer Neuregelung der entsprechenden Gesetze befasst, um diese mit den Bestimmungen der ILO[Internationale Arbeitsorganisation] in Einklang zu bringen. Auch diese Organisationen verfolgt nicht das Ziel der generellen Abschaffung von Kinderarbeit, wohl aber eine Altersgrenze von 14 Jahren dafür vorzusehen. In Bolivien sollen nach offiziellen Angaben rund 850.000 Kinder zur Arbeit statt zur Schule gehen. Nach Schätzungen der ILO  geht es 168 Millionen Kindern weltweit ähnlich.

Jetzt hat Morales die Diskussion um ein weiteres Argument bereichert, indem er sagte, dass frühes Arbeiten das soziale Gewissen fördere. Diese Aussage ist natürlich absoluter Reizstoff für viele „Laissez-faire-Eltern“ hierzulande, die sich jetzt genötigt sehen könnten für ihre „hart geschonten Kinder“ und zur Rechtfertigung ihrer eigenen Erziehungsmethoden auf die Barrikaden zu klettern. Die Frage bleibt im Raume stehen, ob wir nicht doch einen völlig falschen oder gar verklärten Blick auf die sozialen Umstände in anderen Ländern haben. Dagegen erscheint Morales mit seinen Vorstellungen geradezu als Realist, mit einem Realismus den man bei vielen unserer Politiker gar nicht erst zu suchen braucht.  Ein Beispiel: Was passiert mit einem Kind welches elternlos wird, also Vollwaise ist? Hierzulande würde es sorgsam weggefangen und in ein Heim verfrachtet werden, sofern man keine Verwandtschaft ausfindig machen kann. In vielen anderen Ländern müsste es sich schlicht selbst um sein Überleben kümmern, ganz unabhängig vom Alter. Dafür gibt es nur wenig Möglichkeiten. Entweder arbeiten oder stehlen. Was wäre uns „reguliert“ nun lieber, sofern das entsprechende Kind dort nicht schon von Kinderhändlern von der Straße weggefangen wurde?

Aber auch hier könnte der Blick in unsere eigene Vergangenheit zu diesem Thema bedeutend weiterhelfen. Es gibt noch genügend (über)lebende Beispiele, auch hier bei uns in Deutschland, die wissen wie es im Kindesalter auf dem Bauernhof war, wie selbstverständlich, (mit)arbeiten … tagtäglich, ohne Ansehen von Wochenende, Fest- und Feiertagen. Und wieder andere werden sich daran erinnern, als Kind und Jugendliche diverse andere Arbeiten gegen (Taschen)Geld ausgeführt zu haben. Vielleicht müssen wir nur mal die Betroffenen fragen, welchen Schaden sie davongetragen haben. Die Auskünfte werden durchwachsen ausfallen. Dort wo niemand zur Arbeit geprügelt wurde, dürften die Erinnerungen daran häufig positiv ausfallen.

Nicht nur den südamerikanischen Ländern, sondern auch vielen asiatischen oder afrikanischen Ländern, die hart an der Armutsgrenze oder darunter wirtschaften, keine sozialen Sicherungssysteme kennen, werden in einer ähnlichen Weise das Thema Kinderarbeit handhaben müssen. An der Stelle muss man dem Evo Morales zustimmen, dass sich der Staat darauf beschränken muss, sicherzustellen, dass die Kinder bei der Arbeit angemessen und anständig behandelt werden und eben nicht der Gedanke der Ausbeutung, der Ausnutzung oder gar Gewalt das Geschehen vor Ort diktiert.

Ein weiterer Aspekt der hinzukommt und der auch uns hier in Europa alsbald wieder einholen dürfte, ist das absehbare Zusammenbrechen der hiesigen sozialen Sicherungssysteme (schon mal nach Griechenland sehen), das anhaltende Lohndumping, bei dem Facharbeiter heute teilweise schon Hartz-IV Zuschüsse beantragen müssen um die Familie durchzubringen. Vielleicht sollten wir den Mund nicht ganz so weit aufreißen wenn es um Südamerika oder andere Länder geht, sondern uns vordringlich darum kümmern, dass wir es uns auch weiterhin leisten können unsere Kinder nicht arbeiten schicken zu müssen. Ginge es nach den Profitinteressen mancher Konzerne, so wäre es ihnen völlig egal ob die ganze Familie fürs Überleben schuften muss oder nur ein Teil von ihnen. Profitabler ist es wenn alle dafür schuften müssen, weil dann die einzelne Arbeitskraft stets billiger zu haben sein wird … auch für Revolutionen bleibt weniger Zeit. Hoch lebe der Profit!

Bildnachweis: Evo Morales | Autor: Xavier Granja Cedeño – Cancillería del Ecuador | Lizenz: CC-BY-SA 2.0 | modifiziert: qpress

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Die verkommene Wahrheit unserer Zeit ist so relativ und dehnbar wie das Geschrei der Konzern-Massen-Medien daselbst. Erst der schräge Blick durch die Blindenbrille, in stockfinsterer Vollmondnacht, eröffnet darüber hinaus völlig ungeahnte Perspektiven für den Betrachter. Überzeichnung ist dabei nicht zwangsläufig eine Technik der Vertuschung, vielmehr ist es die Provokation gezielter Schmerzen, die stets dazu geeignet sind die trügerische Ruhe zugunsten eigener oder andersartiger Gedanken zu stören. Motto: „Lässt Du denken, oder denkst Du schon?“

8 Kommentare

  1. Saubere, klare und differenzierte Betrachtung der Sachlage. Als ich den Titel sah, dachte ich schon fast, dass hier mal wieder dummes Morales-Bashing betrieben wird, allerdings hat sich die Topqualität, die ich mir von QPress gewohnt bin, dann beim Lesen des Artikels doch erneut bestätigt. 🙂

    Frohe Feiertage!

  2. Das dürfte das größte Problem sein: Die Profitsucht der Unternehmer, die Pflicht des Vorstands die Aktionäre zu befriedigen, immer mehr -immer mehr.
    Und irgenwann wird es wohl tatsächlich wieder soweit sein daß Kinder arbeiten „dürfen“ wenn es notwendig ist. Besserung ist nicht in Sicht, wie auch? Welche Lösung gibt es, kann es geben? Politiker sollte ein Job sein der mit Lebensgefahr verbunden ist und erst nach der Dienstzeit entsprechend honoriert wird, oder es gibt nichts und er (d. Politiker) darf sich wieder allein um eine Arbeitsstelle bemühen und arbeiten wie jeder andere auch.
    Schöne Feiertage und eine gute Zeit

  3. Na toll, da kann man ja so richtig den guten Menschen herauskehren.
    Und die gesamte Helferinstustrie hat lange richtig schön was zu Tun.
    Hier gibt es keine Kinderarbeit. Die ist ja schlecht.
    Wie erzielt man dann Gewinne mit Kindern?
    Indirekt.
    Ein paar überbezahlte Fussballspieler in der Jugendmannschaft oder im Skiclub, aber sonst?
    Was ist denn wichtig für Kapitalbildung?
    2 Dinge die sich nicht so einfach vermehren lassen über das Fliesskomma.
    z.B. Grund und Boden (zur Absicherung)
    Und jemand, der Kapital heranschafft?
    Also Kinder vielleicht?
    Da stürzt sich mittlerweile eine gewaltige Helferindustrie drauf.
    Diese Helferindustrie verdient einen Batzen Geld damit (wie teuer kostet ein Heimplatz – ),
    Eltern als potenzielle Gefahr darzustellen.
    Interessantes dazu kann man überall im Internetz finden (Sorgerecht, Obsorgerecht).
    Guten Rutsch

  4. Die ersten Fragen, die zunächst einmal geklärt werden sollten, um überhaupt über das Thema diskutieren zu können, sind doch: gibt es unterschiedliche Arten von Kinderarbeit? Und wenn ja, sind sie auch unterschiedlich zu bewerten? In der Landwirtschaft zum Beispiel: wenn dort der 10-jährige Sohn mit dem Traktor für ein paar Stunden am Tag jede Menge Arbeiten verrichtet? Ich bin als 10-Jähriger gerne Traktor gefahren. Im Gegensatz zu Rübenhacken (ohne Traktor) fand ich das das Größte überhaupt. Ich habe mich mit meinen Brüdern darum geprügelt. Weniger lustig fand ich es natürlich auch, wenn meine Klassenkameraden bei schönstem Wetter zum Baden gehen konnten und ich mit zur Heuernte musste. Aber ich meine, solange Landwirtschaft noch im Familienbetrieb stattfindet ist die Mitarbeit von Kindern kein Problem der Menschenwürde.
    Außerhalb der Landwirtschaft besteht meiner Meinung nach auch kein Problem wenn die Kinder entsprechend den jeweils geltenden Gesetzen der Schulpflicht einigermaßen regelmäßig die Schule besuchen und dann anschließend für ein paar Stunden etwas dazu verdienen (Zeitungaustragen, Botengänge, etc.). Hier könnte man nun die Frage diskutieren, ob das Geld beim Kind bleibt, oder ab es die die Familienkasse kommt, bzw. ob das Kind freiwillig arbeitet oder von der Familie gezwungen wird. Aber auch das ist eher akademischer Natur, solange die Familie die wichtigste Solidargemeinschaft ist, in der jeder entsprechend seinen Fähigkeiten Rechte und Pflichten hat. In all diesen und ähnlich gelagerten Fällen würde ich von „nichtproblematischer Kinderarbeit“ sprechen.
    Daneben haben wir nun die Kinderarbeit aus Not. Es ist offensichtlich, dass jedes Kind nicht nur das Recht, sondern entsprechend seinen Fähigkeiten vor allem die Pflicht zur Arbeit hat, wenn es um Leben und Sterben von Familienangehörigen geht, wenn nur durch das Zusatzeinkommen des Kindes das Überleben gesichert werden kann. Jedes Gesetz das Kinderarbeit verbietet käme hier einem Todesurteil gleich (so die Kinder sich denn an das Gesetz halten würden = Selbstmord). Mit anderen Worten, ein Gesetz das Kinderarbeit verbietet, würde das Kind nur kriminalisieren, nicht aber Kinderarbeit verhindern. Noch deutlicher: es spricht dem Kind und seiner Familie letztlich das Recht auf Leben ab und ist somit zutiefst menschenunwürdig.
    Bei uns kennen wir fast ausschließlich die nichtproblematische Kinderarbeit. Evo Morales kennt auch die aus Not. Deshalb hat er völlig Recht, wenn er die Kinderarbeit in Bolivien neu regeln möchte. Er hat erkannt, dass Kinderarbeit manchmal existenziell ist und daher nicht grundsätzlich verboten werden kann. Das Problem liegt woanders. Erstens natürlich in der Notlage und zweitens bei denjenigen, die die Not ausnutzen indem sie die Kinder unzureichend für ihre Arbeit bezahlen und/oder sie unter schauerlichen Bedingungen schuften lassen. Nur für diese Fälle brauchen wir – und da geht Evo Morales voran – Gesetze gegen den Missbrauch von Kinderarbeit. Ich kann den Mann verstehen. Und die ILO könnte vermutlich von ihm lernen, wenn sie es schaffet ihre Definition von Realität mehr den Gegebenheiten in Afrika, Asien und Lateinamerika anzupassen.

  5. Besser über die (Kinderarbeits)lage hätte man nicht schreiben können – manche Menschen sollten vielleicht eine Bildungsreise in die sogenannte dritte Welt unternehmen und hautnah mit dem einfachen Volk eine Zeitlang leben, nicht als wohlhabender Tourist sondern mit den und wie die Armen leben, es würde ihnen bestimmt manches vorgekautes Weltbild ändern. Hoch lebe QPress !!! Herzlichen Dank für den hervorragenden Beitrag.
    Friede sei mit Euch

  6. Kinderarbeit ist sehr schlimm, vor allem das Kinder ihre Kindheit nicht richtig ausleben können. Was mir gerade einfällt, Kinder die mit jungen Jahren auf die Bühne kommen, ist das auch nicht eigentlich Kinderarbeit?

    Lg Karin

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