Feuerzangenbowle … und die Nachwehen

Feuerzangenbowle … und die NachwehenZu unserer familiären Weihnachtstradition gehört seit unseren Göttinger Studententagen und seinem „Campusfilm“ das alljährliche gemeinsame Ansehen der legendären 1944er Verfilmung der “Feuerzangenbowle“ mit Heinz Rühmann. Und natürlich bringt jeder Besucher die vielen Pflichtutensilien mit: Einen Baby-Wecker mit Klingeln, eine Handglocke, ein Glas Heidelbeerwein zum Anstoßen bei der Weinprobe im Film (“ainen wänzijen Schlock!“) und schließlich ausreichend Wunderkerzen in verschiedener Länge für die “Radium-Stunde“. (Die Kinder lieben diese Szene!).

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Das, was diesen Film so besonders macht, ist das pädagogische Konzept, für das die imaginäre, verfilmte Schule steht. Die Lehrer dort sind zwar Respektspersonen, also Menschen, die von den Schülern irgendwie respektiert werden, die andererseits aber auch mit ihren Ecken und Kanten, ihren Vorlieben und kleinen Fehlerchen von diesen akzeptiert wurden. Diese Lehrer waren in erster Linie Lehrende und keine Autorisierende. (Mir ist klar, dass es da durchaus im wirklichen Leben Unterschiede gab, hier wird jedoch das pädagogische Idealkonzept dargestellt). Man konnte diese Lehrer meistens auch auf die Schippe nehmen, oftmals haben sie sogar mitgelacht.

PISA macht es möglich

Heute, wo wir mit jeder neuen “PISA“-Studie einen weiteren Schritt in die Bildungslosigkeit attestiert bekommen und wo ganze Schulen von seltsam schrägen Pädagoginnen zu einem Schulstreik genötigt werden, um das “Klima zu retten“,  wäre ein pädagogisches Konzept, das ein eigenständiges Denken und Abwägung erfordert und ausbildet, wohl nicht mehr praktikabel. Nachdem nun bereits schon mehrere Generationen von Geschult-Werdenden nur noch “Wahrheiten“ verkündet werden, die es wiederzukäuen gilt. Einen eigenen Standpunkt herleiten, entwickeln, begründen und dann auch vertreten können? DAS ist doch nicht das heutige pädagogische Ziel.

Da wir uns mit Riesenschritten dem Ende des Jahres nähern, möchte ich als sozusagen versöhnlich-heiteren Ausklang Ihnen meine eigene, selbst erlebte “Feuerzangenbowle“ näherbringen:

Meine “Penne“ (natürlich eine “altehrwürdige höhere Bildungsanstalt“ mit fast 500-jähriger Tradition und einem 150 Jahre alten Hauptgebäude, dem jetzt 72 Jahre alten “alten Neubau“ und der jetzt 44 Jahre alten Erweiterung, dem “neuen Neubau“ – der bereits über den einzigen Fahrstuhl des Schultraktes verfügte) war in weiten Teilen mit der Schule aus der Feuerzangenbowle vergleichbar. Es fing bei den Bezeichnungen für die respektierten Lehrer an: Wir hatten “Tapir“, “Käff“. “Z“, “Pullover-Schmidt“, “den blonden Herakles“, “Hupen-Gustav“, “Papa Röttig“, “Schwefel-Alfred“ und viele andere mehr – ein ganzes Sammelsurium an Lehrern mit Marotten, Spleens und herrlichen Extravaganzen.

Gegen Mitte der 80iger Jahre wurden die Samstags-Stunden auf jeweils eine Zeitstundenlänge ausgeweitet und dafür auf maximal vier Stunden reduziert. Samstag war unser “Schülerstreichtag“ – beide hier ausführlich beschriebenen Streiche fanden an einem Samstag statt.

Tapir reitet ein totes Pferd

Unsere Schule hatte ein großes Einzugsgebiet. Viele “Fahrschüler“ kamen aus den umliegenden, bis zu 20km entfernten Dörfern oder benachbarten Städten ohne Gymnasium. Trotzdem begann der Unterricht pünktlich um 07:50 Uhr. Wir hatten samstags damals zu Beginn eine Doppelstunde bei “Tapir“, einem nervösen und fahrigen Lehrer, der Englisch und Gemeinschaftskunde gab. Wir hatten “Englisch“ bei ihm. Leicht verunsichert stellte er zu Beginn der Doppelstunde fest, dass drei Teilnehmer – bislang unentschuldigt und nicht angekündigt – fehlten. Das setzte ihm schon etwas zu! Doch seine Miene hellte sich auf, als nach ca. 15 Minuten und einem kurzen Klopfen die Tür geöffnet wurde und Robert eintrat, der bekanntlich aus einem der umliegenden Dörfer täglich mit dem Auto zur Schule fuhr.

Er bat reumütig um Entschuldigung für sein Zuspätkommen, aber er habe im Stau auf der “B82“ gestanden, die gesperrt war, weil wohl so ein “doofer Gaul“ dort zusammengebrochen sei.  Tapir schaute ihn ungläubig an und sagte fahrig “Naja, Jetzt sind Sie ja da! Setzen Sie sich!“ – Das mit der Ungläubigkeit wurde jedoch gegen Ende der Stunde zutiefst bei “Tapir“ erschüttert. Energisch wurde nämlich 10 Minuten vor Stundenende an der Tür geklopft und dann sofort schwungvoll geöffnet. Herein trat der zweite Fehlende in der Liste: Martin, allseits bekannt bei der Freiwilligen Feuerwehr tätig, jetzt allerdings “voll aufgerödelt“ mit Atemmaske, Helm, und kompletter Einsatzausrüstung.

Und er marschierte schnurstracks vor den Lehrer, verbeugte sich kurz und sagte: “Bitte mein Erst-Jetzt-Erscheinen zu entschuldigen! Einsatz auf der B82! Wir mussten ein totes Pferd von der Straße bergen und räumen. Sie wissen, dass ich für Einsätze automatisch freigestellt bin?“ – Daraufhin wandte sich Tapir an Robert und meinte: “Ich bitte Sie um Entschuldigung! Ich habe Ihnen vorhin nicht ganz glauben wollen und dachte Sie hätten geflunkert!“ und dann sagte er zu Martin: “Ja, setzen Sie sich hin – In der Pause können Sie sich dann in der Turnhalle umziehen, wenn Sie mögen.

Ich besorge Ihnen die Schlüssel.“ Nachdem die zweite Stunde begonnen hatte – Martin war umgezogen und wir alle langweilten uns so vor uns hin, wollten wir doch nur schnell nach Haus, denn heute sollte ein großes Abistreichvorbereitungstreffen unseres Jahrgangs im “Piano“ stattfinden, sprang die Tür ohne Klopfen auf und der dritte (fehlende) Mann, Wolfgang, trat ein. Auf dem Rücken trug er einen Sattel und auf dem Kopf einen Cowboyhut. Mit trauriger Miene verkündete er, dass sein Pferd beim Anreiten auf die Schule auf der B82 tot zusammengebrochen sei. Tapir klopfte ihm bedauernd auf die Schultern und ließ ihn Platz nehmen.

Aber so ganz traute er dem Braten noch nicht. Also fragte er Klaus, der später mal Konzertpianist werden wollte und der immer so zuverlässig und glaubhaft war, ob Wolfgang denn tatsächlich mit dem Pferd zur Schule geritten sei? Und Klaus dieser Tausendsassa sagte mit großem Ernst: “Ja, Wissen Sie das nicht? Er hat doch sein Pferd immer da hinten auf dem Lehrerparkplatz an den Zaun gebunden!“ – Danach war die Geschichte für “Tapir“ eine komplett wahre Geschichte.

Bis er sie in der Pause im Lehrerzimmer erzählte und die Kollegen schallend lachten. Bei der nächsten Stunde hat Tapir dann Wolfgang damit aufgezogen, dass er ihm einen Agrar-Prospekt mit zu verkaufenden Eseln überreichte. Und sagte: “Sie werden dort vergeblich nach mir suchen! Ich habe meine Annonce zurückgezogen!“ Und zu uns sagte er nur: “Ihr seid mir aber vermaledeite Schlawiner! Geht zum Film! Dann könnte aus euch doch noch was werden!“

Die Hausknecht trifft einen dänischen Finnen

Samstags wurde in Klasse 11 “Französisch wahlfrei“ (für die “Lateiner“) angeboten. Die Lehrerin war Frau Hausknecht, die damals noch keinen Spitznamen hatte, weil sie gerade aus einer mehrjährigen Babypause zurückgekehrt war. Die “Neufranzosen“ erzählten, wie sie “die Hausknecht“ gefoppt hatten (die die einstündigen Samstagsstunden wohl noch nicht verinnerlicht hatte), indem sie nach einer ¾ Stunde behaupteten, dass es eben geklingelt habe und ob sie das nicht gehört hätte. Sie hatte daraufhin den Unterricht beendet. Und das war dann mein großer Auftritt.

In der örtlichen Tageszeitung konnten wir ein paar Wochen später in der Freitagsausgabe lesen, dass eine Gruppe dänischer Austauschstudenten unser schönes Städtchen besuchte. Am Samstag gab es wieder “Französisch für Lateiner“ – diesen Kurs hatte ich selbst nicht belegt und war deshalb Frau Hausknecht völlig unbekannt – In den Sommerferien zuvor – in der schönen finnischen Stadt “Houtskär“ (wird noch wichtig! 😉), aus der so mancher Schulkamerad aus diesem Kurs damals eine Ansichtskarte erhalten hatte 😉 – hatte ich mir einen Vollbart stehen lassen und sah durchaus “nordisch“ aus.

Also setzte ich mich in den Unterricht und erklärte tags zuvor den Kursteilnehmern, dass ich mich als “dänischer Austauschstudent“ auszugeben gedächte.  Direkt vor der Stunde bekam ich jedoch eine interessante Information: “Papa Röttig“, dem ich meinen Streich vorab gebeichtet hatte, informierte mich, dass Frau Hausknecht bei der Volkshochschule einen Dänischkurs belegt hätte und gerade diese Sprache erlernte. Kurzerhand entschloss ich mich, nicht als Däne, sondern als Finne aufzutreten. Der Kurs bekam das auch mit, bis auf Mario, der gerade mit etwas anderem beschäftigt war.

Nun saß ich also – blöd grinsend – in der letzten Reihe. Frau Hausknecht erspähte ein unbekanntes Gesicht und fragte mich, wer ich sei. Darauf zeigte ich fragend auf mich. Und sie sagte: “Ja! Sie!“ – Dann ging ein Lächeln über mein Gesicht, ich stand auf und verbeugte mich tief vor ihr und sagte in dem ich auf mich selbst deutete: “Puiki Avälönnenen!“ – sie war ganz begeistert, einen so fremden Gast in ihrem Unterricht zu haben und fragte “Oh! You are from Finland?“ – Aber leider grätschte da Mario sofort dazwischen, der das mit dem Dänisch ja nicht mitbekommen hatte bevor ich etwas sagen konnte: “Nee! Das ist mein dänischer Austauschstudent!“  – ALSO nun mußte ich doch den Dänen geben!

Frau Hausknecht sagte einen dänischen Willkommenssatz zu mir, den ich mit einem Lächeln und einer Verbeugung beantwortete. Dann plätscherte der Unterricht etwas vor sich hin, bis Frau Hausknecht meinte, den “Dänen“ in den Unterricht einbauen zu wollen: Man war gerade bei “haricot vert“ (grüne Bohne) angelangt, als Sie mich gezielt ansprach und von mir wissen wollte, wie “haricot vert“ auf Dänisch hieße. Und JETZT hatte ich ein Problem! Wußte sie es selbst tatsächlich nicht, oder wollte sie es nur aus dem Mund eines Muttersprachlers hören? – Fieberhaft überlegte ich mir eine Lösung.

Zuerst mußte ich mich für den Fall absichern, dass sie ein anderes Wort dafür kennt. Deshalb fragte ich: “In wich Dialect, please?“ – Sie war entzückt! In Dänemark gab es doch tatsächlich verschiedene Dialekte! – Ich erklärte ihr weiterhin, dass es den Osloer Dialekt gäbe, das, was man fälschlicherweise im Ausland als “Dänisch“ lernte – und den Esbjerger Dialekt (aus dieser Stadt hatten wir mal Übernachtungsgäste gehabt) und MEINEN Dialekt, den Helsingörer Dialekt (diese Stadt war mir damals praktisch nur aus der Hamlet-Erzählung bekannt).

Dieser Dialekt unterscheide sich sehr vom Osloer Dialekt. (Damit war meine Absicherung perfekt!) – als sie nun – leicht ungeduldig –  nach “grüne Bohne“ im Helsingör-Dialekt fragte, antworte ich selbstsicher “Houtskär“ (also die Ortschaft auf den finnischen Schären, wo ich meinen Sommerurlaub verbracht hatte). Allein vom Klang war sie schon fasziniert und bat mich, das Wort an die Tafel zu schreiben. Also stand ich auf, verbeugte mich, ging zur Tafel und schrieb den Namen an. Nun erkannten fast alle, die Ansichtskarten von mir bekommen hatten, WAS ich da hingeschrieben hatte.

Es kam etwas Unruhe auf. Und wie um Interesse der Klasse zu wecken sagte Frau Hausknecht “DAS ist doch spannend! Da sind ja eindeutige und offensichtliche ethymologische Ähnlichkeiten zu haricot vert!“ – DAS führte jedoch nicht etwa zu einem gesteigerten Interesse, denn nun löste sich die Anspannung der letzten Minuten durch einen großen Lachanfall.

Frau Hausknecht war erschüttert und donnerte los: “Ihr seid so ekelhaft! Wenn ihr einmal in einem fremden Land von eurer Sprache etwas unfassbar Interessantes erzählt und ausgelacht werdet- wie würdet ihr das wohl finden? Hm? Ich schäme mich für Euch!“ – Das erhöhte jedoch die Heiterkeit umso mehr. Kurz darauf war die Stunde um und Frau Hausknecht verstand die garstige Welt nicht mehr. Vor allem, weil ich mich mit einer Verbeugung und in fließendem Deutsch für den wunderbaren Unterricht bedankt habe und dass ich nun verzückt wisse, was Houtskär auf Französisch hieße.

p.s.: Ein Jahr später hatte ich “Falco“, ihren Mann, als Leiter der Theater-AG. Dort wurde meine Geschichte erzählt und Falco kam aus dem Lachen nicht mehr heraus und sagte, jetzt wisse er, wie er seine Frau künftig aufziehen könne – und lud mich auf ein Bier ein…

p.s.: Im November ist “Tapir“ im Alter von 97 Jahren friedlich eingeschlafen – Danke an meine, “unsere“ Lehrer, die uns noch einen Hauch von Feuerzangenbowle bescherten! – Frohes Neues Jahr!

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Über Schwertfried Fürchtegott zu Babel 13 Artikel
Schafschützend liegt er auf der K-Lauer und erkiest sich an der Analyse der Groteske der Gezeitenwende. Allzeit breit! Immer breit! Als Vorsitzender des Zentralrats des Höchstadels vertritt er kompromisslos die Sichtweise der Groben und Matschigen, kämpft in Stahlgewittern für Wilhelm Donner und Andrea Doria. Als überzeugter Dämokrat bildet er eine unüberwindliche Ein-Mann-Sphalanx wider den Zeitgeist. Sein Lebensmotto: “Immer, wenn der Zeitgeist einen fahren lässt, wackelt bei uns die Verfassung!“

3 Kommentare

  1. Solche Jugendlichen aus elternhäusern mit wohlstandsverwahrlosung nannte man früher auch schnösel/knilch/feiner pinkel usw.

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