Politik & Medien: Die Neutralisierung der Wirklichkeit (Teil 2 und Ende)

Die Punkte 1-3 dieser Betrachtung zur Neutralisierung der Wirklichkeit in Deutschland finden sich hier.

4. Faktoren des allgemeinen Wirklichkeitsverlustes

Die Gültigkeit des 1. Axioms der Sozialpsychologie („Jeder Mensch konstruiert sich seine eigene Realität“) als „Pseudofundament“ des soziologischen Überbaus samt aller seiner „Gewißheiten“ in Deutschland ist lediglich ein Faktor des Wirklichkeitsverlustes fast einer gesamten Nation. Das ist sie deshalb, weil sich der Deutsche hat weismachen lassen, daß seine je eigene Meinung als Folge seiner je persönlichen Realitätskonstruktion zähle („Deine Meinung zählt!“). Dabei handelt es sich nur um eine listige Schmeichelei. Wenn wahr wäre, daß „Deine Meinung zählt“, könnte logischerweise eine diametral entgegengesetzte Meinung nicht ebenfalls zählen. Es sei denn, die je eigene Meinung würde lediglich insofern zählen, als daß sie Teil einer zählbaren „demokratischen Mehrheit“ resp. Teil einer zählbaren Minderheit wäre. Das heißt, daß „deine Meinung“ nicht zählt, sondern nur gezählt wird. Die Meinung der kleinsten zählbaren Einheit, die des Einzelnen, zählt überhaupt nicht, wenn sie nicht einer Mehrheit resp. einer Minderheit zugeordnet werden kann, welche die Zahl eins übersteigt. Springers „BILD“ warb dennoch mit dem Slogan „Bild Dir deine Meinung!“. Auch das eine listige Bauchpinselei, die für sich genommen schon insofern entlarvend ist, als daß bei der „BILD“ damit kalkuliert worden sein muß, es würde schon kein BILD-Leser darauf kommen, daß er sich recht eigentlich die Meinung der BILD-Redakteure „bilden“ soll, um hernach zu behaupten, es handele sich um seine eigene.

Die Sache mit der demokratischen Meinungsbildung ist sowieso mysteriös, wenn man bedenkt, daß Zeitungen und Nachrichtenmagazine verkauft werden müssen, soll sich ihre Herstellung lohnen und die Redakteure ernähren.  Beispiel: Sollte ein AfD-Funktionär in einer bestimmten Angelegenheit rechthaben (und AfD-Funktionäre haben oft recht): Die „Süddeutsche Zeitung“ würde das niemals schreiben. Es gibt aber Abonnenten, die genau wissen, waum sie die SZ abonniert haben und nicht die „Junge Freiheit“ oder „Compact“: Weil in der Süddeutschen das steht, was sie lieber lesen wollen als das, was bspw. in „Compact“ steht. Das wollen sie lieber nicht lesen. Sie haben mit der „Süddeutschen“ eben „meine Zeitung“ abonniert. Entlang ihrer je persönlichen Präferenzen müssen sie daher für wahr halten, was in ihrer Zeitung steht. Das gilt umgekehrt natürlich auch für diejenigen, die „Compact“ abonniert haben. Gemeinsam haben die unterschiedlichen Abonnenten lediglich die Überzeugung, daß sie jeweils „die Informierten“ seien und daß daher ihre Meinung zähle. Man braucht sich da nichts vorzumachen: Jede Zeitung, jeder Sender und jedes Nachrichtenmagazin berücksichtigt die weltanschaulichen Vorlieben des jeweiligen Publikums. Das primäre Interesse eines jeden Verlags besteht an seiner Wirtschaftlichkeit, nicht an der Verkündung der objektiven Wahrheit. Da ist das 1. Axiom der Sozialpsychologie besonders nützlich.

Die Idee eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der keinen Gewinn machen muß und deshalb über Zwangsabgaben finanziert wird, war ursprünglich dem Gedanken geschuldet, daß qualitativ hochwertiger Journalismus von Wirtschaftschaftlichkeitsüberlegungen  befreit sein sollte, die logischerweise immer zu Lasten der objektiven Wahrheit gehen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist dennoch gescheitert. Die „eigene Meinung“, die der noch bildet, ist nur noch die jener Ideologen an der Regierung, die darüber befinden, wieviel Steuergeld die öffentlich-rechtlichen Medien (ÖRM) erhalten sollen. Das heißt, daß bei den öffentlich-rechtlichen Medien nicht einmal mehr Wirtschaftlichkeitsüberlegungen Priorität haben, sondern die nackte Gier. Deren Befriedigung ist an keinerlei journalistische Qualität mehr gebunden, sondern nur noch an bedingungslose Loyalität den jeweils Regierenden gegenüber. Das gilt, nebenbei bemerkt, auch für eine „Wissenschaft“, die aus Steuermitteln gefördert wird. Eine solche „die Wissenschaft“ folgt eher der Politik und dem Steuergeldsegen, als daß es umgekehrt wäre. „Die Wissenschaft“, so, wie sie einem von den öffentlich-rechtlichen Medien angedient wird, ist zu einer Farce geworden, genauso wie der „unabhängige und neutrale Journalismus“ der Öffentlich-Rechtlichen oder derjenigen, die mit ihren Publikationen ein wirtschaftliches Ziel zum eigenen Wohl & Frommen verfolgen. Auch bei Reichelt wird wegen des Liedes, das er singt, immer offensichtlicher, wess‘ Brot er ißt.

Die Jahresgehälter der Intendanten von öffentlich-rechtlichen Sendern sind jedenfalls „nicht mehr von dieser Welt“. Da ist ausschließlich von sechsstelligen Summen die Rede. Die wiederum gelten ihren Empfängern als Ausweis ihrer je persönlichen Wichtigkeit. Und zwar – man muß sich die Dinge schließlich schönreden – als Ausweis ihrer je persönlichen Wichtigkeit für den ach-so bedeutsamen Souverän und dessen je „eigenkonstruierter Realität“. Das ganze System ist vollkommen wahnsinnig, so, wie es an der Wirklichkeit vorbeibrettert. Das vormals demokratische Volk ist darüber zu einer „Gesellschaft sich feindlich gesinnter Meinerleins & Finderleins“ geworden. Oder knallhart: Der Souverän wurde auf diese Weise entmachtet. Alle haben eine je persönliche Meinung (in der Einbildung), aber kaum einer weiß, wie es wirklich ist. Das ist auch einem Zeitproblem geschuldet, weil der Aufwand, den man heute treiben muß, um überhaupt herauszufinden, was die objektive Wahrheit zu praktisch allem ist, die Möglichkeiten eines jeden übersteigt, der „auch noch sein eigenes Leben“ hat und sich um Beruf, Familie, Hobbies, Ratenkredite und Leasinggebühren kümmern muß. Der muß sich nämlich überlegen, ob er sich überhaupt leisten könnte, die Konsequenzen zu ziehen, die er womöglich zu ziehen hätte, wenn ihm die objektive Wahrheit bekannt wäre. Es ist verständlich, daß er lieber nicht so genau wissen will, wie die Dinge sind, solange er noch damit zurecht kommt, daß er sie apodiktisch in einer bestimmten Weise zu begreifen hat. Als Außenseiter – und das weiß er – wäre er ganz schnell die ärmste Sau.

Es hilft aber nichts. Wer immer noch etwas Genaues wissen will, anstatt irgendetwas „Mainstreamiges“ zu meinen & zu finden, der muß sich seine Informationen selbst zusammensuchen. Unabhängig von Arbeitgebern und Banken muß er außerdem sein. Und er muß Englisch können, damit er bspw. RT lesen kann, Colonel Douglas Macgregor et al bei YouTube versteht und weiß, was „Haaretz“ und „Al Jazeera“  schreiben, um das dann den deutschen Medienberichten gegenüberzustellen und das Ganze auf Plausibilitäten abzuklopfen. Es ist nicht so, daß man nicht darauf kommen könnte, was die objektive Wahrheit zu den verschiedensten Sachverhalten ist. Nur interessiert das kaum noch jemanden, weil ja die je „eigene Realitätskonstruktion“ mit der je „eigenen“ und zu allem Überfluß auch noch „gleichberechtigten“ Meinung ausreicht, um sich durchs materielle Leben in der geistigen Illusion zu schlagen. Wer will sich da schon die Frage stellen, wie lange das überhaupt noch so weitergehen kann, ehe Wolkenkuckucksheim zusammenbricht wie die Carolabrücke in Dresden? – Einige wenige vielleicht.

Für alle anderen gilt: Wir lassen uns gern den Bauch pinseln. „Meine Apotheke“. „Mein gmx“. „Wir sind 24/7 gerne für Sie da“. „Ihr Wohlergehen liegt uns am Herzen“. „Das Wichtigste für uns sind Sie“. „Wir lieben Lebensmittel“. „Ihre Rechte“. „Sie haben Anspruch“. „Sie haben es sich verdient“ usw.usf. Es ist kein Wunder, daß Deutsche mit ihrer je eigenkonstruierten Realität  angesichts der durchsichtigen, ubiquitären Schleimerei, mit denen ihnen begegnet wird, ihren eigenen Bauchnabel für das Zentrum der Welt – und das Ganze für „gesellschaftlichen Fortschritt“ halten. Ich-mich-meins.

5. Die Selbstvergottung

Das über Jahrhunderte kulturbestimmende Christentum in Europa spielt längst nicht mehr die Rolle, die es einst innehatte. Ein immenser Verlust, dessen Tragweite noch gar nicht richtig begriffen worden ist in der je persönlichen Besoffenheit der „die Menschen“ von sich selbst und ihren je „eigenkonstruierten Realitäten“ samt angehängter „Meinungsvielfalt“. Ohne gleich eine theologische Abhandlung vom Stapel zu lassen (wozu ich auch gar nicht qualifiziert wäre), haben sich die Dinge wohl dennoch folgendermaßen entwickelt: Von der Akzeptanz einer Notwendigkeit, sich dem Unbegreiflichen zu fügen und die „Gesetze“ eines vom Irdischen und damit von jeder Debatte entkoppelten „Gesetzgebers“ dogmatisch zu befolgen – also die zehn Gebote als alles überspannenden, gemeinschaftsbildenden“Kitt“ zwischen den Unterschiedlichen und ihren Meinungsdifferenzen zu begreifen, welcher dogmatisch gilt, sich jeder Diskussion entzieht und auf diese Weise friedensstiftend wirkt – hin zur „Gesellschaft der von überkommenen Zwängen Befreiten“ oder der „Gesellschaft der Wissenschaftsgläubigen“. Daß Gottlosigkeit irgendetwas mit Freiheit zu tun haben könnte, ist der fatalste Irrtum überhaupt.

Es ist nämlich keinesfalls so, daß der „aufgeklärte“ Atheist nichts glaubt. Er glaubt lediglich nicht mehr an Gott. Was wiederum bedeutet, daß er sich etwas darunter vorgestellt haben muß, das mit der „Realität des Unbegreiflichen“ nichts zu tun gehabt haben kann. Schließlich kann man nicht leicht etwas ablehnen, von dem man gar nicht „weiß“, was es überhaupt sein soll. Der „aufgeklärte“ Atheist wird zum Zivilreligiösen und glaubt stattdessen allen möglichen Quatsch. Zum Beispiel glaubt er an die Existenz eines menschengemachten Klimawandels. Daß es eine Vielzahl verschiedener Geschlechter gibt, glaubt er unter Umständen auch. Daß Ersteres verderblich sei und Letzteres segensreich, – das glaubt er ebenfalls. Daß die Zukunft eine Richtung kennt und daß er deswegen „nach vorne schauen“ müsse, – auch das glaubt er. Daß es Ziele zu erreichen gäbe, die „extrem weit vorne“ liegen, glaubt er daher auch. Daß es linksprogressistische Gesellschaftsdesigner mit einer schier unglaublichen Weitsicht gibt, derentwegen sie eine „Zukunftsagenda“ haben, glaubt er ebenfalls. Daß Ziele, die „extrem weit vorne in der Zukunft“ liegen, nichts weiter sein könnten, als eine Arbeitsplatzgarantie für steuerfinanzierte, linksprogressistische Klugscheißer, deren Auskommen davon abhängt, daß sich diese „Ziele“ möglichst zu ihren Lebzeiten und zu Lebzeiten künftiger Generationen von linksprogressistischen Klugscheißern keinesfalls verwirklichen lassen – , das glaubt er hingegen nicht.

Das wiederum erklärt dann zum Beispiel auch das Kalkül der Redaktion von „spektrum der wissenschaft.de“ mit dem Leserinteresse, als sie jüngst alarmistisch titelte: „Forscher: In einer Milliarde Jahren geht uns der Sauerstoff aus.“ – Yeah, „uns“. In einer Milliarde Jahren. Also dann, wenn es die Menschheit etwa 2.000 Mal länger gegeben haben sollte, als es sie bislang bereits gibt. Rasend interessant ist das lediglich unter dem Gesichtspunkt, daß es verrät, welches vollkommen unrealistische Menschenbild in der Redaktion von „spektrum der wissenschaft“ existieren muß. Jede Wette, daß nicht wenige Zivilreligiöse, die das gelesen haben, verzweifelt stöhnten: Gottogott, „unser“ Sauerstoff wird knapp. In einer Milliarde Jahren. Spätestens. Obwohl „wir“ ihn doch zum Leben brauchen. „Wir“. Vor allem „wir“. Gegenwartsalarm wegen etwas, das möglicherweise in einer Milliarde Jahren stattfinden könnte. Wie bescheuert soll es eigentlich noch werden hierzulande mit der „die Wissenschaft“ und den „Die Wissenschaft“-sgläubigen?

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Womit sich leben läßt: Jesus Pantokrator in der Kathedrale von Monreale/Palermo – Screenshot Wikipedia

Daß Wladimir Putin im postsowjetischen Russland alles dafür unternimmt, das orthodoxe Christentum als kulturstiftende Größe zu reetablieren, glauben „aufgeklärte Deutsche“, müsse wohl daran liegen, daß Putin ein simpel gestrickter und aggressiver Wirrkopf ist, dem die „Befreiung von überkommenen Zwängen“ am Allerwertesten vorbeigeht. Keinesfalls darf Putin rechthaben damit, daß es nicht eine Partei, eine Regierung, eine Ideologie oder sonstwer ist, die per Zwang gemeinschafts- und friedenssstiftend wirken (und daran scheitern), sondern der gemeinsame Glaube daran, daß man sich nach dem Tod für seine irdischen Taten zu verantworten haben wird.  Himmel oder Hölle. Keine realitätswidrige „Befreiung von überkommenen Zwängen“ in Russland. Das Kinderkriegen z.B.  ist auch kein Zwang, von dem Frauen via „Selbstverwirklichung“ hätten „befreit“ werden müssen. Es ist vielmehr ihre Natur. Wer gegen die verstößt, der hat dann eben eine demografische Katastrophe wie die autochthonen Deutschen. Sie sterben einfach recht „fortschrittlich“ aus vor lauter zivilreligiöser Progressivität. Besser wäre gewesen, sie hätten einfach geglaubt, daß sie fruchtbar sein und sich mehren sollen. Ohne jede weitere Diskussion. Dann würden sie sich auch heute – vollkommen irre! – nicht noch die Köpfe über einen angeblichen „Fachkräfte“-Mangel heißreden, während ein Wirtschaftsunternehmen nach dem anderen entweder pleite geht oder Hals über Kopf aus Deutschland flieht.

6. Die löbliche Integration

Der Selbstbetrug in Deutschland geht sogar so weit, daß man die Forderung für plausibel hält,  „Mitbürger“, die „noch nicht so lange hier leben“, sollten sich in „unsere Gesellschaft“ integrieren. Alter Schwede. Daß die Deutschen ein Volk auf dem absteigenden Ast sind – international betrachtet absolute „Loser“ -, fällt wahrscheinlich jedem schneller auf, der „noch nicht so lange hier lebt“, als einem alteingesessenen Deutschen, der aus nostalgischen Gründen noch immer „stolz ist, ein Deutscher zu sein“. So kommt es dann, daß für vernünftig und einsichtig gehalten wird, wer sich in eine Gesellschaft integriert, die sich evident im Niedergang befindet. Nein, wer nach Deutschland gekommen ist, der kam nicht, um sich in den Abstiegsstrudel der deutschen Moralweltmeister mit hineinziehen zu lassen.  Der wird vielmehr versuchen, die Schwächen seiner Gastgeber für sich auszunutzen. Würde er es anders machen, müsste er sich schließlich blöd vorkommen. Jeder Moslem kann erkennen, daß seine überschaubare Zukunft die eigenen Kinder sind, nicht die fehlenden Kinder jener Leute, in deren Gesellschaft er sich „integrieren“ soll. „Integrationsbeauftragte“ sind auch – so wie alle anderen „Beauftragten“ –  gar nicht daran interessiert, ihren „Auftrag“ jemals zu Ende zu bringen. Schließlich würden sie sich dadurch selbst überflüssig machen und „arbeitslos“ werden. Alle diese „Beauftragten“ sind das Resultat zivilreligiöser, linksprogressistischer und staatsgläubiger Zivilreligiöser in deren Wahn, sie müssten ganz unbedingt eine „bessere Gesellschaft“ herbeidekretieren. Wegen der sozialen Gerechtigkeit, wegen der gerechten Teilhabe, der Geschlechtergerechtigkeit, der Rassengerechtigkeit oder einer der anderen Gerechtigkeiten aus jener Vielzahl von Gerechtigkeiten, die sie – und nur sie – überhaupt kennen. Und die allesamt in der „besseren Zukunft“, also „ganz weit vorne“ liegen. Das aus der Glaubensnot heraus vorgezogene „Paradies auf Erden“ für die „zukünftigen Generationen“ also. Es gibt eine Gerechtigkeit oder es gibt keine. Einen Plural von „Gerechtigkeit“ gibt es nicht, genauso wenig, wie es einen von „Freiheit“ gibt (die „Freiheiten“ sind Erlaubnisse und Gestattungen, also das exakte Gegenteil von Freiheit).

Gäbe es ein einziges Wort als Synonym für den deutschen „Verlust der Wirklichkeit“, dann wäre das Wort „Waffenverbotszone“ ein ganz heißer Kandidat. Wer dieses Wort in die Welt gesetzt hat, kann schlicht und einfach nicht mehr zurechnungsfähig sein. Unzurechnungsfähigkeit ist das Resultat von Wirklichkeitsverlust.

Resümee

Über die sozialpsychologisch herbeigeführte Neutralisierung der Wirklichkeit könnte man vermutlich ein ganzes Buch schreiben, es mit zahllosen Belegbeispielen und einem umfangreichen Quellenverzeichnis  ausstatten, bebildern und-so-weiter. Aber wozu? Wer die beiden Teile dieses Artikels gelesen und mitgedacht hat, wird sich schon nach diesem Artikel fragen, wozu ich ihn geschrieben habe, wenn ich doch, wie dargelegt, davon ausgehe, daß er zu nichts mehr führen wird. Es gibt keinen kollektiven Souverän mehr, der das Ruder noch herumreißen könnte (Volk, Bevölkerung, die Menschen in Deutschland, Gesellschaft – oder wie auch immer man ihn bezeichnen würde, diesen per Wirklichkeitsneutralisierung „entklöteten“ Souverän). Es gibt statt seiner eine multimillionenstarke Gesellschaft der Vereinzelten mit ihren je „eigenkonstruierten Realitäten“, obwohl es nur eine einzige Wirklichkeit als Synonym für „die Realität“ gibt. Alles darüber hinaus sind nur individuelle Wirklichkeitsinterpretationen. Wie nah die der einen Realität kommen, hängt von einer Unmenge an individuellen Faktoren ab: Wissen, Intelligenz, Selbstwahrnehmung, Präferenzen, Prioritätensetzungen und vieles mehr. Es gibt auch nur zwei Geschlechter. Alles darüber hinaus sind individuelle Befindlichkeiten, aber kein neues Geschlecht. Die „Befreiung von überkommenen Zwängen“ ist keine, sondern eine Überstellung in die intellektuelle Einzelhaft. Abermillionen von Einzelzellen.

Es gibt die Täuschung, etwa in Form einer Fata Morgana. Die „Macht des Souveräns in der Demokratie“ ist eine. Die Täuschung ist real. Aber sie bleibt eben eine Täuschung. Besonders deutlich kann man eine Fata Morgana wahrscheinlich dann sehen, wenn man inständig hofft, daß das, was man sieht, keine sein möge. Eine wasserreiche Oase in der Wüste sieht man wahrscheinlich dann am ehesten, wenn man kurz vor dem Verdursten ist. Der vermeintliche Souverän, der informierte, ist in Wahrheit Verfügungsmasse in der Macht gänzlich Ungewählter, und diejenigen, die er als seine „gewählten Vertreter“ begreift, sind in Wahrheit die Kerkerknechte jener Macht, für die er nur Verfügungsmasse ist. Mit seinen vermeintlichen „Volksvertretern“ zusammen hockt der entklötete Souverän in etwa derselben Weise gemeinsam im Knast, wie der Justizvollzugsbeamte mit dem Häftling. Wobei der „Volksvertreter“ im Gegensatz zum vermeintlichen Souverän derjenige ist, der freiwillig einsitzt. Schließlich wird er bestens dafür bezahlt.

Warum also habe ich dennoch etwas zur Neutralisierung der Wirklichkeit geschrieben? Es geht eigentlich nur um mich selbst. Ich würde ersticken, wenn ich nicht wenigstens hin und wieder noch „das Maul aufmachen“ würde. Auch wenn ich davon überzeugt bin, daß es keinen Effekt mehr haben wird. Das habe ich übrigens mit Parlamentsabgeordneten gemeinsam, die sich am Rednerpult verausgaben. Die würden ebenfalls ersticken, wenn sie nicht „demokratische Debatte“ simulieren könnten, wo es längst keine mehr gibt: Im Plenarsaal. Dort wird nämlich auch nur noch die je eigenkonstruierte Realität gegen andere Eigenkonstruktionen verteidigt. Und zwar verbissen. Dort passiert es, daß ein Kanzler Scholz behauptet, er sei sich sicher, auch die nächste Regierung ab 2025 anzuführen. Weil seine Regierung „erfolgreich“ gewesen sei. Kompletter Wirklichkeitsverlust. Steht aber dennoch „zur Debatte“. Das ist alles nur noch Wahnsinn. Kiesewetter, Hofreiter, Baerbock, Habeck, Lauterbach, Lindner, Faeser usw. – alle wollen sie etwas erreichen, ohne dabei die Realität zu berücksichtigen. Im Parlament – und nur dort –  kann der Ukrainekrieg noch für die Ukrainer gewonnen werden, wenn „wir“ nur amerikanische Langstreckenraketen in Deutschland stationieren, mit denen Tod und Verwüstung bis in die Tiefen Russlands getragen werden können. Wer das behauptet, darf auch darauf pochen, daß niemand mehr sich an seine Lüge von gestern und alle seine Lügen aus der Zeit davor erinnern wird, um ihm zuzurufen: „Halt doch dein Maul, du Lügner! Ukraine? Krieg gewinnen? Du spinnst wohl?“  – Totaler Realitätsverlust bei hochdemokratischer Meinungsfreiheit. Zu gewinnen hat mit der Stationierung amerikanischer Langstreckenraketen allenfalls ihr Hersteller / Verkäufer etwas. Sonst niemand. Die Ukrainer schon gar nicht. Für die wäre ein Gewinn, wenn sie ihre „wertewestlichen Verbündeten, Helfer & Partner“, diese mörderischen „Westwertsouffleure“, endlich loswerden könnten, um entweder neutral oder Teil Russlands zu werden. Aber es nützt auch niemandem mehr etwas, daß man das wissen könnte. Die Neutralisierung der Wirklichkeit ist das Resultat der unterschiedslosen Vermischung von Wahrheit und Lüge zur „gleichberechtigten Meinung“, dieser Folgeerscheinung einer je eigenkonstruierten Realität in der objektiven Bedeutungs- und Wirkungslosigkeit.

Regelrecht schockiert war ich, als ich zu realisieren hatte, daß sich sogar die einzige wirkliche Oppositionspartei, die es in Deutschland gibt, die AfD, geschlossen hinter israelischen Völkermördern und Kriegsverbrechern versammelt, weil sie das im Rahmen ihrer eigenen kulturellen Präferenzen für „zielführend“ hält. Bei nicht wenigen der „alternativen Medien“ ist es dasselbe. Das war’s dann endgültig mit meinem Glauben an die Reformierkeit dieses „Systems“. Wer nicht mehr wahrhaben will, was objektiv wahr ist, stellt sich selbst das Attest seiner politischen Überflüssigkeit aus und nährt den Verdacht, es könnte noch ganz andere Sachverhalte geben, die er nicht wahrhaben will. Wer hierzulande die fundamental notwendigen Veränderungen herbeiführen wollte, der müsste zu Mitteln greifen, welche die Scheußlichkeit dessen, was er geändert haben will, noch bei weitem übertreffen würden. Anders als „brutal und rücksichtslos mit eiserner Faust“ ginge das gar nicht mehr. Aber der einen Scheußlichkeit mit einer noch größeren ein Ende zu setzen, wäre vollkommen widersinnig. Folglich kann man es auch gleich bleibenlassen. Ich wollte es nur gesagt haben, um einem Erstickungsanfall zuvorzukommen.

 

 

 

 

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Über Max Erdinger 15 Artikel
Max Erdinger schrieb seit 2016 als freier Autor und Kolumnist täglich für "Journalistenwatch" und "Ansage". Er begreift sich als einen konservativen Freigeist, der sich nicht auf bestimmte "Narrative" festlegen läßt. Wichtig ist nicht, wer etwas sagt, sondern was jemand sagt.

2 Kommentare

  1. „Abermillionen von Einzelzellen.“ Nicht unbedingt Knast-, sondern eher Gummizellen wohl.

    Abermillionen von Einzelzellen; ein nicht nur sehr kurzer, sondern auch sehr wahrer Satz — so wahr, daß es schon garnicht mehr schön ist. So viel zu meiner grundsätzlichen Kritik an diesem Beitrag: so wahr.

    Allgemein und zwecks Sachkorrektur anführen ließe sich noch…

    https://edwardslavsquat.substack.com/p/russias-plummeting-birthrate-is-slightly

    (In Rußland same procedure as in Germany, auch die Putinistas haben Riesenärger mit der Geburtenrate. Failed state kommt selten allein.)

    Nein, war nicht zu negativ, ganz im Gegenteil. Danke, Max Erdinger, alles Wichtige richtig gesagt, und nur Unwichtiges ausgelassen! Könnte nicht schöner sein.

  2. Ja, lieber Max Erdinger, sie sind schon weit fortgeschritten in der Erkenntnis unseres Irrenhauses.

    Wenn ich als Philosoph und Ökonom in einer These sagen sollte, was die Quintessenz all meiner reichen und umfangreichen Lebenserfahrungen samt Auswertung der Kulturgeschichte, subsummiert unter den Gattungsarten, die als Menschen entstanden sind, dann besteht diese darin, dass eine Kultur nur überleben kann, wenn diese die Reprodution der Gesellschaft so betreiben kann, dass diese die Menschen befähigt, diese Aufgaben auch verantwortlich erfüllen zu können.
    Der Begriff der Freiheit war bisher tatsächlich nicht damit verbunden.
    Was aber als vermeintliche Notwendigkeit existiert, war bisher immer in die Hülle einer Religion gepresst, basierend auf den Vorstellungen von Menschen, die das Wesen ihrer einzigartigen Natur nur in religiösen Thesen ausdrücken konnten.
    Die Dialektik von Religion und Wissenschaft drückt sich am deutlichsten in den Irrtümern der Wissenschaftsgeschichte aus. Die Dialektik von Sein und Bewusstsein, also damit auch des bekannten Wissens, des bekannten Nichtwissens, des unbekannten Nichtwissens über das Sein erfordert eine Fehlerkultur in der menschlichen Gesellschaft, die die Irrtümer des Menschen als Schnittmenge scheinbar bekannten Wissens mit dem Nichtwissen immer wieder vorantreibt, Irrtümer zu überwinden, sobald ein einziger Mensch diesen Irrtum erkannt hat.

    Erst, wenn dieser Reproduktionstyp einer Gesellschaft gefunden ist, kann überhaupt erst mal von der Freiheit des Menschen gesprochen werden, der Fähigkeit, sich von seinen eigenen Fehlern zu befreien.

    Wer die Kontrolle über die Produktion und den Warenaustausch ausübt, alo letztlich in der modernen Gesellschaft über das Geld, der hat die Macht über die Politik und die Wirtschaft. Ob diese Macht die Reproduktion der Gesellschaft erfolgreich sichern kann, ist eine ganz andere Frage.
    Sie hängt davon ab, inwieweit Wissenschaft und Technik, die Organisation der Gesellschaft in der Lage sind, das jeweilige Potential aller Menschen in dieser Gesellschaft zu entwickeln und zu nutzen.

    Dies erfordet eine demokratische Konstitution der Gesellschaft, die bereits in ihrer ökonomischen Struktur determiniert ist und damit nicht mehr rückgängig gemacht, sondern nur noch weiter verbessert werden kann.

    Die Grundlagen eines Neuen Denkens sind längst entwickelt, werden aber wegen der erfolgreichen Manipulation der Gesellschaft und den oben beschriebenen Mechanismen schon nicht mehr begriffen.

    Ich versuche es trotzdem weiter, weil es keinen anderen Weg als den der Aufklärung gibt.

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