Medien & Narrative: Die Schlacht um den 7. Oktober

Medien  und Narrative

Am ersten Jahrestag des grauenvollen Angriffs auf israelisches Militär und weit mehr als 1.000 israelische Zivilisten bietet sich eine Rückschau auf die vergangenen zwölf Monate an. Nichts ist mehr so, wie es einem vor einem Jahr noch vorgekommen ist. Nur an der unfassbaren Brutalität  des Angriffs hat sich nichts geändert. Der 7. Oktober 2023 ist auch in der Erinnerung noch ein Schlag in die Magengrube. Einer in die eigene, die der Israelis und des „Wertewestens“ insgesamt. Es wird einem schon speiübel, wenn man nur an die Bilder von vor einem Jahr denkt. Was für ein barbarisches Massaker.

Was sich geändert hat im Verlauf des vergangenen Jahres, ist die Gewißheit vom 7. Oktober 2023, daß sich ein solch barbarisches Massaker wohl kaum noch steigern läßt. Heute ist alle Welt klüger: Doch, das ging. Dem israelischen Rachefeldzug der vergangenen zwölf Monate fiel ein zigfaches an Unschuldigen zum Opfer. Der 7. Oktober 2023 muß in der Zusammenschau all dessen, was seither bekannt wurde, von der Ursache für die Entwicklungen des vergangenen Jahres  herabgestuft werden zu ihrem Anlaß. Ein Anlaß ist etwas anderes als eine Ursache. Es gibt allerdings ein starkes mediales und politisches Interesse daran, sich den 7. Oktober 2023 als Ursache dessen zu erhalten, was seither geschehen ist. Diesem Interesse wiederum dient die Installation bestimmter Narrative, die umso hartnäckiger verteidigt werden, je unplausibler sie werden. Was am Schwinden ihrer Plausibilität freilich nichts ändert, auf jeden Fall aber die Motive  derjenigen umso deutlicher hervortreten läßt, die sie dennoch immer hartnäckiger verteidigen. Die von Julian Reichelt zum Beispiel.

 

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Stellvertretend: Israel & Reichelt: Bla-Bla-Bla … Screenshot Deutschlandfunk

 

Dieser Tage wurde sogar dem UN-Generalsekretär die Einreise nach Israel verweigert. Man mag den sozialistischen Portugiesen Antonio Guterres für alles mögliche halten, aber eines ändert sich dadurch nicht: Er ist der UN-Generalsekretär. Auf dem internationalen Parkett gibt es ein Protokoll, das nicht auf die Person abhebt, sondern auf ihren politischen oder den diplomatischen Status. Überraschend war die Einreiseverweigerung des israelischen Außenministers Katz für den UN-Generalsekretär dennoch nicht. Es gibt nicht leicht ein Protokoll, eine internationale Konvention, ein internationales Recht oder eine internationale Organisation, die von den Israelis noch nicht mißachtet worden wären. Und zwar unsanktioniert.  Die Israelis scheinen sich an ihre diesbezügliche „Narrenfreiheit“ dermaßen gewöhnt zu haben, daß sie die inzwischen als ihr Gewohnheitsrecht betrachten. Israelis: Die ewig Unverstandenen, die ewigen Opfer, der ewige David – und der Rest der Welt entweder nachsichtiger Freund oder eben böser Goliath.

Dabei hatte es Guterres nur versäumt, den iranischen Vergeltungsschlag auf Israel zu verurteilen. Das war als Begründung für eine Einreiseverweigerung in Israel bereits ausreichend. Der Israeli Katz bei „X“ u.a.: „ … wir werden unsere Würde aufrechterhalten.“ Auch das eine Illusion. Wer eine Eigenwahrnehmung pflegt wie die Israelis, hat schlicht und einfach keine Würde, die er aufrecht erhalten könnte. Jedenfalls keine, welche diejenige eines Kleinkindes übersteigt, das im Supermarkt Zeter & Mordio brüllt, weil es die Gummibärchen nicht bekommt, die doch extra in Augenhöhe des Schreikindes an der Kasse zur spontanen Mitnahme bereitliegen. Aber der Reihe nach …

„Fishy“

Es dauerte nicht lange, bis sich hinter dem Entsetzen und der Wut angesichts des Gemetzels am 7. Oktober 2023 ein Fragezeichen nach dem anderen versammelte. Los ging es bei mir mit den Bildern der Mordopfer, die bereits ab dem 8. Oktober die sozialen Netzwerke fluteten. Die Mörder aus dem Gazastreifen hatten anscheinend nur solche Israelis gemeuchelt, die einem schon auf den ersten Blick sympathisch gewesen wären. Junge Familien mit kleinen Kindern, hübsche Mädchen und Frauen, optimistisch in die Kamera lachende, junge Männer – und alle diese Bilder verstärkten natürlich meine Wut auf die arabischen Mörder dieser wundervollen Menschen. Doch nach dem ersten Dutzend dieser Fotos machte es „klick“ bei mir. Da stimmte doch etwas nicht? Was roch da auf einmal so „fishy“? – Na klar: Bei über 1.000 Opfern des bestialischen Überfalls konnten doch nicht nur sympathisch aussehende Opfer gemeuchelt worden sein? Da mussten doch Unattraktive dabei gewesen sein? Leute, die nicht fotogen waren? Leute, denen nicht auf den ersten Blick schon die Herzen zufliegen. Gab es von denen keine Fotos? Von denen hätte es doch bestimmt ebenfalls welche gegeben? Warum gab es keine zu sehen in den s0zialen Netzwerken? War deren grauenvoller Tod nicht genau so traurig? Handelte es sich bei der Streuung der Fotos ausgesprochener Sympathen um koordinierte Propaganda zur Instrumentalisierung von Emotionen?

Dann der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, in der ARD. Die Aufklärung der Hintergründe dieses bestialischen Angriffs habe keine Priorität, meinte der. Das könne warten. Jetzt ginge es um den Kampf gegen die Hamas, um Vergeltung für diesen Angriff. Und wieder machte es „klick“. Wollte mir der Herr Botschafter gerade weismachen, absolut alle Israelis würden dermaßen dringend für den Kampf gegen die Hamas benötigt, daß keine mehr für die Aufklärung der Tathintergründe mehr übrig waren? Konnte das sein, daß nicht beides zugleich stattfinden konnte: Kampf gegen die Hamas und die Aufklärung der Tathintergründe? Immerhin hatte gerade das angeblich beste Sicherheitskonzept der Welt komplett versagt. Den Angreifern war es gelungen, mit schwerem Gerät eine stark gesicherte Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel zu durchlöchern. Immerhin war der Angriff auch keine spontane Tat gewesen, sondern es hatte offensichtlich monatelange Vorbereitungen gebraucht. Das alles soll völlig überraschend gekommen sein? Obwohl der Angriff aus dem wahrscheinlich am besten überwachten Gebiet der Welt heraus erfolgt war? Warum sah sich Prosor im deutschen Fernsehen dazu veranlaßt, apodiktische Prioritätensetzungen zu verkünden, denen offensichtlich die Logik fehlte? Und was für ein Kampf gegen die Hamas sollte das sein, wenn doch der israelische Verteidigungsminister Gallant verkündete, man werde den Gazastreifen von jeglicher Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln abschneiden? Mussten dort etwa nur die Hamaskämpfer essen und trinken? Gab es dort keine Zivilisten?

So ging das jedenfalls los mit meinem Argwohn. Mir war schnell klar geworden, daß ich nicht informiert, sondern emotionalisiert werden sollte. Wozu? Das klärte sich dann recht schnell. Die Israelis begannen mit der systematischen Zerstörung des Gazastreifens und der Bombardierung von allem, was dort kreucht und fleucht. Meine offensichtlich geplante Emotionalisierung folgte wohl dem Zweck, Sympathien für dieses schändliche Vorgehen zu generieren. Generierung eines Rachedurstes zuerst, sozusagen, der von den IDF hernach freundlicherweise gelöscht wird. Ob die überaus sympathischen Israelis zu einem derartig abgefeimten Kalkül fähig sind? Ob sie wohl Leute in die Irre führen wollten, die ihnen durchaus freundlich gesinnt waren? Würden die ihre Freunde anlügen? Reichlich mysteriös, das alles.

Grund genug für mich, alles zu ignorieren, was ich bis dato über Israel zu wissen glaubte (es war deutlich zu wenig, wie sich herausstellen sollte), in der Geschichte noch einmal ganz weit zurückzugehen, um von vorne anzufangen mit dem Aufbau eines Israelbildes. Daß der Angriff vom 7. Oktober 2023 damit zu begründen war, bei den Angreifern habe es sich einfach um prinzipiell böse Menschen gehandelt, die schon mit einer genetisch bedingten Mordlust zur Welt kommen, und bei den Opfern um das personifizierte Gute, wäre nun doch ein wenig zu simpel gewesen, obwohl ich durchaus dazu neigte, das so zu sehen. Weil es mir wegen meiner Ablehnung des Islam gefallen hätte. Besonders sympathisch waren mir die Palästinenser noch nie vorgekommen. Zeit meines Lebens hatte ich die immer nur als äußerst stressige Zeitgenossen wahrgenommen, denen außer Bombenbastelei, Flugzeugentführung und Intifada nichts Gescheites einfällt. Dieses palästinensische Image war aber nicht zu halten. Bestürzt stellte ich schnell fest, daß ich meinen persönlichen Präferenzen erlegen war – und schlimmer noch, daß mir das zur Urteilsbildung vollkommen ausgereicht hatte. Nichts darüber hinaus. Islam gegen Judentum. So simpel.

Im Gazastreifen lebten dennoch zwei Millionen Palästinenser, die außer „islamistischen Terroristen“ alles mögliche waren: Kinder, Frauen, Christen, Unpolitische, Ärzte, Journalisten. Es konnte nicht sein, daß die mit ihrem Leben und etlichem anderen für etwas zahlen sollten, an dem sie offensichtlich keine Schuld hatten.

Waren dann wenigstens die Israelis genau das, was ich immer in ihnen gesehen hatte? Heroische Kämpfer, die ein westliches, hochzivilisiertes Bollwerk voll strahlender Werte verteidigen in einer finsteren, regelrecht zurückgebliebenen Weltgegend, in der sie von bodenloser Barbarei sozusagen umzingelt sind? Es sollte sich herausstellen, daß dem mitnichten so ist. Im Rahmen meiner mühevollen, wochenlangen Recherche nach dem 7. Oktober 2023 stellte sich dann heraus, daß ich bis zum 7. Oktober 2023 einem Narrativ gefolgt war, das mit der Realität so gut wie nichts zu tun gehabt hatte. Es war desillusionierend.

Jüdischer Staat?

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„Antidingsbumsiten“ im gelobten Land? – Screenshot Facebook

Meinereiner kam 15 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zur Welt. Die deutsche Schuld am Holocaust wurde mir dennoch quasi mit der Muttermilch zusammen auf meinen weiteren Lebensweg mitgegeben. Ich hatte mich dann sogar sehr dafür interessiert und wollte alles darüber wissen. Mit zwöf Jahren hatte ich das Tagebuch der Anne Fank gelesen, ein wenig später wusste ich alles über die unfassbaren Gräueltaten, die Deutsche an Zivilisten vieler Länder verbrochen hatten. Auschwitz, Buchenwald, Dachau, Flossenbürg, Bergen Belsen – ich war überall, teilweise sogar mehrmals. Meine Güte, was hatten Deutsche mit den europäischen Juden angestellt? Es wurde mir zu einer echten Seelenlast. So ein fürchterlicher Morddeutscher wollte ich nie und nimmer werden. Ich war umfassend fassungslos. Eine der zentralen Fragen meines Lebens war lange Zeit, was ich eigentlich für einem Volk angehöre, wenn das einem derartigen Zivilisationsbruch erliegen kann.  Eine der Folgen davon war eine gewisse Glorifizierung der „die Juden“. Schließlich waren es ja unterschiedslos auch alle „die Juden“, die von den Nationalsozialisten ausgelöscht werden sollten. Mit den verschiedenen Strömungen innerhalb des Judentums hatte ich mich deshalb auch gar nicht beschäftigt. Das Kollektiv der „die Juden“ reichte mir völlig aus, um zu wissen, bei wem ich als Deutscher in einer historischen Schuld stand. Mir war nie aufgefallen, daß ich dadurch genau die ungerechtfertigte Undifferenziertheit übernommen hatte, die schon den Nazis zur Verwirklichung ihrer unfasslichen Verbrechen ausgereicht hatte.

Zionisten: Helden direkt, die für die seit Jahrhunderten mißhandelten und verfolgten Juden Europas endlich eine sichere Heimstatt im gelobten Land erstritten hatten. Tolle Leute! Wenn es für die Schaffung eines jüdischen Staates noch irgendeiner Begründung bedurft hätte – der Holocaust hätte sie final geliefert. Denn so viel stand fest: Was die Zionisten und mich einte, war die totale Ablehnung von Massenmord. – Tja, Irrtum. Was heute noch als der „jüdische Staat“ bezeichnet wird, ist nur eingeschränkt ein „jüdischer Staat“. Zu hundert Prozent allerdings ist er ein zionistischer Staat. Zwar sind in Israel alle Zionisten Juden, aber bei weitem nicht alle Juden sind Zionisten. Das israelische Pendant zur amerikanischen Präsidentenmaschine, der Air Force One, wird auch nicht „Wings of Jewry“ (Die Flügel des Judentums) genannt, sondern „Wings of Zion“. Und im Zuge des zionistischen Terrors von den Zwanzigern bis in die Vierziger des vergangenen Jahrhunderts fielen den Zionisten auch nicht nur Araber und Briten zum Opfer, sondern ebenso antizionistische Juden, die keinen jüdischen Staat in Palästina haben wollten, sondern es vorgezogen hätten, weiterhin friedlich mit ihren arabischen Nachbarn zu koexistieren. Hatte ja ganz gut geklappt.

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Nationalsozialistische Gedenkmünze: „Ein Nazi fährt nach Palästina“ – Screenshot Facebook

Während meiner Recherchen nahm ich dann zur Kenntnis, daß weltweit Juden gegen das Vorgehen des zionistischen Staates im Gazastreifen protestierten, so daß ich wirklich ganz genau wissen wollte, was es mit den Zionisten auf sich hat. Folglich habe ich mich dann sehr gründlich mit ihnen beschäftigt. Von ihren Anfängen als führerstaatlich organisierten, reformjüdischen Frankisten im 18. Jahrhundert, über Herzls Ansichten zu den Juden im 19. Jahrhundert, ihre Kollaboration mit den Nazis im 20. Jahrhundert und weiter bis heute.

Um es kurz zu machen: Sodom und Gomorrha. Was für ein bigottes Pack. Die Weltmeister der absoluten Selbstgerechtigkeit. Herrenmenschen par excellence. Chauvinisten bis dort hinaus. Was für eine frappierende Ähnlichkeit mit der nationalsozialistischen Gedankenwelt. Achsengespiegelte Nazis, sozusagen. Absolut unfassbar! Ein ganzes Weltbild zerbröselte mir zwischen den Fingern während meiner Recherchen.  Zitate zionistischer Säulenheiliger von Herzl über Gruenbaum, Ben Gurion und Wise bis Ben-Gvir und Smotrich, die eins zu eins so auch von den Nazis hätten stammen können. Eine frappierende Affinität zu jenem Terrorismus, den sie heute lautstark bejammern, weil er sich nun gegen sie selbst richtet und die Araber zu jenen Terroristen wurden, die sie a priori selbst gewesen waren von den Zwanzigern bis in die Vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Bigotterie bis zum Horizont. Von Ex-UN-Waffenspekteur Scott Ritter bis zu den Ex-CIA-Größen Ray McGovern und Larry Johnson, Leuten, die in ihrer beruflichen Laufbahn viel mit israelischen Offiziellen zu tun hatten, – alle einer Erkenntnis: Es gibt nicht einen fachlichen Ratschlag, den die Israelis akzeptieren würden. Es gibt praktisch nichts, das sie nicht besser wüssten als alle anderen. Die Hochnäsigkeit dieser Leute, so Larry Johnson, sei nicht mehr von dieser Welt. Auserwähltes Volk im gelobten Land. Die Lieblinge Gottes. Kein Wunder.

Desillusionierung

Meine Güte, hatte ich mich all die Jahre vom bestinstallierten Narrativ der jüngeren Geschichte, dem „wertewestlichen Israelnarrativ“, verarschen lassen. Was war ich für ein Trottel gewesen! Und die Vorstellung erst, wie sich Zionisten weltweit feixend auf die Schenkel klopfen, wenn sie an solche Trottel wie mich denken, die ihnen ein ums andere Mal bestätigen, daß richtig ist, wofür sie selbst sich halten: Für die oberschlauen Weltmeister bei der Verarschung von Trotteln! Nein, ein solcher Trottel wollte ich nicht länger mehr bleiben. Bestürzt stelle ich aber fest, daß es auch ein Jahr nach dem 7. Oktober 2023 noch jede Menge Landsleute gibt, die ganz unbedingt ihre Trottelrolle beibehalten wollen. Sie identifizieren sich förmlich damit. Darunter befinden sich jede Menge Leute, die ich bis dato für clever gehalten hatte. Noch eine Illusion, die kollabiert ist.

Nur ein Beispiel: Wer bisher gedacht hatte, daß es der Holocaust gewesen sei, der die ultimative Begründung für die Notwendigkeit eines jüdischen Staates im Nahen Osten liefert, darf wieder nach Hause gehen mit seiner schulterzuckenden Anerkenntnis, daß dafür eben nolens volens ein bißchen Nakba betrieben werden musste, die gottlob bloß islamische Araber – diese „unzivilisierten Viecher“ – traf. Tatsache ist etwas ganz  anderes. Kein Geringerer als David Ben Gurion referierte bereits beim 20. zionistischen Kongreß am 7. August 1937 in Zürich über die „Erfolge“ in Palästina. Dabei berichtete er über die löbliche „Verdrängung der (arabischen) Bevölkerung“ im Jezreel-Tal, in der Scharon-Ebene und an „anderen Orten“ und fügte an, daß nun ein „Transfer in einer ganz anderen Größenordnung“ erfolgen müsse, welcher den Zionisten ein „umfassendes Siedlungsprogramm“ schafft. Das war also über ein Jahr vor der Reichspogromnacht und viereinhalb Jahre vor der Wannseekonferenz. Aber es reicht noch weiter zurück. Zionistenkongresse gab es ab dem Jahr 1897, beginnend mit einem Treffen im Casino von Basel. Und zwar, nachdem die israelitische Kultusgemeinde von München die Durchführung eines solchen Kongresses in ihrer Stadt abgelehnt hatte. Geleitet wurden diese Kongresse in den ersten Jahren von Theodor Herzl selbst, dem zionistischen Säulenheiligen, Autor des 1896 erschienenen Buches „Der Judenstaat“ und bis heute Namensgeber des Herzlberges in Jerusalem. Herzl 1897 in Basel: „Der Zionismus erstrebt die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina für diejenigen Juden, die sich nicht anderswo assimilieren können oder wollen.“ Aus Herzls Testament im Jahre 1903: „Ich wünsche in einem Metallsarg neben meinem Vater begraben zu werden, und dort zu bleiben, bis das jüdische Volk meine Überreste nach Eretz Israel überführen wird.

Zweierlei: Es gab 1903 kein jüdisches Volk. Die Juden waren über aller Herren Länder verteilt. Eine „jüdische Rasse“ gab es bis dahin auch nicht, und als es sie dann angeblich gegeben hat, war sie keine Erfindung der Nazis, sondern eine zionistische, die dann von den Nazis – aus nachvollziehbaren Gründen –  bereitwilligst übernommen wurde. Im Jahre 1903 gab es die Juden als eine der Weltreligionen. Aus. Und wohin wollte Herzl seinen Leichnam später einmal überführt wissen (er wurde 1904 in Wien begraben)? – Ah, nach „Eretz Israel“ (Großisrael). – Na, klingelt’s?

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Weltgrößter Traumtänzer: Benjamin Netanyahu vor den UN im September 2023 – Screenshot Facebook

Der 7. Oktober: Ursache oder Anlaß?

„Eretz Israel“ also. Der feuchte Traum von Zionisten, seit es welche gibt. Das wäre ein Gebiet, das den nördlichen Teil der arabischen Halbinsel bis zum persischen Golf umfaßt, Jordanien, Teile Ägyptens, Syrien, den Libanon und sogar ein südöstliches Fitzelchen der heutigen Türkei. Wie gesagt: Den Zionismus gibt es noch nicht so lange im Vergleich zum über 3.000-jährigen Judentum. Und dann fällt der bestialische Angriff vom 7. Oktober 2023 ausgerechnet in die Regierungszeit einer Koalition, deren Fortbestand zu 100 Prozent am Einverständnis von ultrarechten Hardcore-Zionisten hängt, die in der Tradition des zionistischen Mörders von Jitzchak Rabin (+1995) stehen, dem ehemaligen israelischen Premierminister, der in Israel selbst als „Friedenspräsident“ gesehen wird, von den Hardcore-Zionisten jedoch als Verräter, der den Palästinensern Zugeständnisse machen wollte, um der ewigen Gewalt im gelobten Land ein Ende zu setzen? – Zufälle gibt’s, die gibt es gar nicht!

Nein, der 7. Oktober 2023 war nicht Ursache der Entwicklungen seither, sondern deren Anlaß. Es fehlt nur die letzte Gewißheit, um den Anlaß auch noch als einen „willkommenen“ zu bezeichnen. Mir schwant trotzdem Übles. Dabei muß man sich natürlich fragen, ob es in der Geschichte so ungewöhnlich ist, daß sich jemand einen Kriegsgrund schafft, wenn er keinen hat. Und weil man sich das fragen muß, steht dann auch unausweichlich die Frage im Raum, womit sich das offenkundige Desinteresse der israelischen Regierung an einer transparenten, umfänglichen Aufklärung der Tathintergründe vom 7. Oktober 2023 erklären läßt. Samt einer weltweiten Publizierung derselben. Ganz konkret: Wer, außer den bisher benannten Akteuren, war in die Planungen des Angriffs vom 7. Oktober 2023 noch involviert? Welcher „Kuhhandel“ hat da stattgefunden? Zum Nutzen der Palästinenser ist dieser Angriff evident nicht ausgefallen.  Weshalb wird der „Kampf gegen die Terroristen der Hamas“ inzwischen auch dort geführt, wo die Hamas gar nichts zu melden hatte im Oktober des vergangenen Jahres, nämlich im Westjordanland? Weshalb genau fallen nun auch dort Bomben? Weshalb wird die Zivilbevölkerung im südlichen Libanon genauso rücksichtslos bombardiert wie zuvor schon die im Gazastreifen? Weshalb wurde in unschöner Regelmäßigkeit Damaskus angegriffen? Weil es um das Existenzrecht Israels geht? Das Existenzrecht Israels in den int. anerkannten Grenzen von 1948 bestreitet kein Mensch, obwohl sich selbst dieser Staat zu wesentlichen Teilen auf zionistischem Terror gründet (Irgun, Hagana, Lechi, King David Hotel Jersalem 1946, Deir Yassin 1948, Massaker von Khan Younis während der Suezkrise 1956, Menachem Begin, Avraham Stern et al – usw.usf.).

Ach ja, und das noch: Was taugt die Behauptung, die Hamas habe sich hinter der Zivilbevölkerung verschanzt, als Begründung für die Notwendigkeit, leider-leider-leider auch Krankenhäuser, Schulen, Kirchen und Moscheen im Gazastreifen plattmachen zu müssen? – Gar nichts. Die Zentrale des Mossad sowie das Hauptquartier der IDF befinden sich mitten in Tel Aviv, umgeben von israelischen Zivilisten. Und was verrät die Tatsache, daß etwa die Hälfte der Geiseln, die am 7. Oktober 2023 gekidnappt worden waren, es gar nicht bis in den Gazastreifen „gechafft“ haben, weil sie vorher schon von den zionistischen Sicherheitskräften gemeuchelt worden waren? – Daß die Zionisten jüdisches Leben schützen wollen? – Aha. Daher also der Jammer über die Geiseln, die noch immer im Gazastreifen festgehalten werden. Man konnte sie leider vor einem Jahr nicht daran hindern, zur Verhandlungsmasse ihrer total entmenschlichten Entführer zu werden. Schau mir in die Augen, Kleines: Kannst du meinen Blinddarm sehen?

Am 7. Oktober 2024, ein Jahr nach dem furchtbaren Anschlag auf Kasernen, Wachposten und Kibuzze, hängt die Frage, ob die Israelis einem beispiellosen arabischen Blutrausch zum Opfer fallen werden in ihrer „sicheren Heimstatt für die Juden dieser Welt“, nur noch an einer einzigen Ungewißheit: Wie weit werden die USA mitgehen auf dem hochriskanten Weg hin zu einem „Eretz Israel“ (the „New Middle East“, Netanyahu)?  Die Feinde Israels haben inzwischen mächtige Rückendeckung aus Russland und China – und sie scharren zunehmend deutlicher bereits mit den Hufen. Sollten die Israelis aufgrund der Einsicht, daß es für die USA nichts mehr zu gewinnen gibt unter geopolitischen Gesichtspunkten, so fallengelassen werden wie zuvor schon die Ukrainer, dann wäre es das gewesen mit dem Staate Israel. Und das Massaker, das dazu geführt hätte, würde in die Weltgeschichte eingehen als die Mutter aller Massaker. Im Nahen Osten ist niemand so verhasst wie die Israelis – und wie man weiß, ist die Rache der Araber süß. Sie nennt sich „Baklava“ und ist ein Desert. Ich nehme dann ein Stückchen. Als kleines Trostpflaster angesichts der betrüblichen Einsicht, daß es jemandem gelungen war, mich jahrzehntelang zu verarschen unter Ausnutzung meines tief empfundenen Mitgefühls für die Juden als Opfer der Nazis. Danke, ein Stückchen reicht.

 

 

 

 

 

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Über Max Erdinger 31 Artikel
Max Erdinger schrieb seit 2016 als freier Autor und Kolumnist täglich für "Journalistenwatch" und "Ansage". Er begreift sich als einen konservativen Freigeist, der sich nicht auf bestimmte "Narrative" festlegen läßt. Wichtig ist nicht, wer etwas sagt, sondern was jemand sagt.

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