Sprache als kulturelle Identifikation

 

macht der sprache gedanken

VERSIMPLIZIERUNG VON SPRACHE IST GLEICHBEDEUTEND MIT KULTURELLEM VERFALL

Heute ist mir ein Thema in den Schoß gefallen, das so richtig nach meinem Geschmack ist: Die Bedeutung und Pflege der Muttersprache. Thomas Hartung hat es auf Ansage aufgegriffen und hervorragend kommentiert:

  • NIEDERGANG DER DEUTSCHEN SPRACHE: VON „ANSPRÜCHEN“ UND „SPRECHEN“

Titelbild: Macht der Worte

  • MEINE MEINUNG:

Meine Einstellung zu „Ansage“ dürfte mittlerweile unter meinen Lesern bekannt sein: Die Inhalte sind für mich meistens nicht akzeptabel. Das hindert mich jedoch nicht daran, anspruchsvolle Artikel wie den heutigen herauszugreifen! Warum sollte ich darauf verzichten? Denn mit seinem Verständnis von der Bedeutung der Sprache in unserer Gesellschaft spricht mir der Autor aus der Seele!

Sprache ist mehr als reine Kommunikation – sie ist wesentlicher Teil von Kultur und Identifikation. Was wären wir ohne sie? Hilflos und desorientiert! Oder was sollen wir mit Radebrechen oder einen auf das Minimale reduzierten Wortschaft oder einer limitierten Formulierungsfähigkeit anfangen? Ich dachte immer, daß der Mensch nach Lernen, Verbessern und Vervollkommnung strebt. Wenn man aus falsch verstandener Toleranz Eingewanderten oder auch Deutschen faule Kompromisse hinsichtlich des Anspruchsniveaus der deutschen Sprache vorgibt, der tut man weder diesen Leuten noch sich selbst einen Gefallen! Und wenn man dann auch noch meint, ein wohlmeinender und zuvorkommender Gutmensch zu sein, dann ist man auf dem berühmten Holzweg.

Ohne Anstrengung und motiviertes Bemühen bewegt sich gar nichts vorwärts. Selbst Affen, Delphine, Ratten und Schweine streben nach einer Verbesserung ihrer Fähigkeiten. Warum sollten wir der „Krone der Schöpfung“ dieses nicht abverlangen – gerade auch weil diese Möglichkeiten und Ziele im Wesen des Menschen integriert sind? Vielfalt und Multikultur sind nicht gleichbedeutend mit der Schaffung einer einfältigen Schrumpfsprache und kein Freibrief für Kauderwelsch. Nur derjenige, der sich nach seiner Begabung bemüht, seine kommunikative Basis zu optimieren, besitzt die Chance, sich in der Gesellschaft angemessen zu etablieren und anerkannt zu werden. Alles Andere sind Hirngespinste und ins Ohr gesetzte Flöhe! Die grundlegende Frage ist doch die, ob wir uns gesellschaftlich weiter entwickeln und auch die Dazukommenden ehrlich integrieren wollen oder uns in Illusionen verlieren wollen? Hier vorab die wesentlichsten Gedanken des Autors:

  • Der Vorschlag klingt vordergründig pragmatisch: Der Fachkräftemangel heiligt alle Mittel –  also: Standards runter! Sprache wird neuerdings nicht mehr zur Grundqualifikation, sondern zur Einstellungshürde erklärt, die man flachschleifen müsse, um so „Inklusion“ zu ermöglichen: eine „starke Fetischisierung der Landessprache“ will Kohlenberger erkannt haben. Doch diese Verschiebung ersetzt die probate und pragmatische Frage „Wer ist für die Aufgabe geeignet?“ durch „Wen bekommen wir überhaupt?“. So wird aus Qualifikation bloße Verfügbarkeit, aus bisheriger Präzision Toleranz bis zur Lässlichkeit.
  • Nicht neutral, sondern schädlich: Das ist nicht mehr neutral, nicht mehr effizient, sondern schädlich. Es verlagert die Kosten der Verständigung von der Vorleistung des Bewerbers auf die Dauerbelastung der Organisation. Wo Sprachansprüche sinken, steigen Transaktionskosten: Missverständnisse, doppelte Kontrollen, Sicherheits- und Haftungsrisiken, interne Übersetzungsarbeit. Kurzfristig spart man vielleicht am Eingangstor, langfristig zahlt man im Maschinenraum – und zwar alle: Kollegen, Kunden, Patienten, Bürger. Wer jetzt sogar die Landessprache zur entbehrlichen Zutat erklärt, verwechselt Recruiting mit Betriebsführung. Denn in modernen Gesellschaften ist Sprache keine Zierde, sondern Infrastruktur.

  • Die Behauptung, man könne die Ansprüche an Deutschkenntnisse „im Betrieb“ kompensieren, verkennt die emergente Intelligenz sprachlich gut geölter Organisationen. Teams, die dieselben sprachlichen Nuancen teilen, arbeiten nicht „elitär“, sondern effizient und gerecht: Aufgaben sind eindeutig, Verfahren überprüfbar, Verantwortungen nachvollziehbar. Wo die gemeinsame Sprache fragmentiert, entstehen Schattenhierarchien: Wer übersetzen kann, bekommt informelle Macht; wer nicht, bleibt abhängig. Ausgerechnet im Namen der „Teilhabe“ schafft man so eine Zweiklassengesellschaft der Verständigung Hybridisierung, Pidginisierung und der Verlust an Differenz.
  • Verschiebungen der Norm: Die aktuelle Migrationsdynamik erzeugt nicht nur die blumig gefeierten “mehrsprachigen Lebenswelten”, sondern katastrophale und alarmierende strukturelle Vereinfachungs-Tendenzen im Deutschen selbst, die die Sprache an den Rande der Auflösung zu bringen droht.

  • Voranschreitender Sprachverfall: „Sprachverfall“ ist kein griesgrämiges Kulturpessimistenwort. Es beschreibt die politisch herbeigeführte Erosion wechselseitiger Erwartungen. In Schulen wird die Forderung nach Fehlerfreiheit zur „Diskriminierung“, weshalb Abschaffung von Diktaten, Schreiben nach Gehör und Verzicht auf Noten immer öfter zum neuen Normal werden – auch wenn selbst Abiturienten und Studienanfänger katastrophale Defizite in Schreib- und Artikulationskompetenz aufweisen. In Behörden wird “Leichte Sprache” zum Ersatz statt zur Brücke, im Medienmilieu wird die Hochsprache als versnobte Attitüde „privilegierter Milieus“ verächtlich gemacht.

  • Fünf Treiber der Entdifferenzierung: Die deutsche Geschichte kann anderes erzählen: Arbeiter-, Vertriebenen-, Gastarbeiter- und Spätaussiedlergenerationen haben sich die Sprache in Abendkursen, Betrieben, Vereinen erobert – und wurden dadurch gesellschafts- und handlungsfähig. Sprache war nicht entbehrliches Beiwerk, sondern Voraussetzung für jeden echten Integrationsprozess. Heute dreht man das Prinzip um: Statt Wege hinauf zu bauen, verlegt man die Treppe hinunter. Zur Verfallspolitik gehören fünf miteinander verkettete Trends:

  • Erstens die Anglisierung: Wenn Wissenschaft, Politik und Unternehmen systematisch ins Englische ausweichen, wird das Deutsche genau dort geschwächt, wo es Innovation präzise benennen müsste; Eliten fördern diesen Export der Fachsprache aktiv.
  • Zweitens das „Imponierdeutsch“: Manager- und Hochschuljargon („Mission“, „Potenzial“, „Investmentphilosophie“) fungiert als Fetisch, der Rationalität behauptet, aber Verständlichkeit verdrängt.
  • Drittens die Instrumentalisierung: Ein normierendes Gerechtigkeits- und Moraldeutsch mit Gender- und Regelmorphologien erzeugt eine Kunstsprache, in der Dissens semantisch entwertet wird.
  • Viertens: die Hedonisierung: Die Hallo-Gesellschaft überträgt private Register (siehe die kreolisierte Alltagssprache) in die Öffentlichkeit; „Lockerdeutsch“ und Schlagzeilenjargon verkürzen Komplexität zu Taktstrichen der Aufmerksamkeit (auch das als “cool“ empfundene Denglish gehört fällt hierunter).
  • Und fünftens die Semantifizierung/das Reframing: Politisches und ökonomisches Nebelsprech („Nahrungsmittelsicherheit“ statt Hungervermeidung, „Inklusion“ als Allzweckwaffe) verschieben Bedeutungslinien, bis Kontrolle über Begriffe Kontrolle über Realitäten wird.
  • Ansprüche“ als Kulturtechnik: Der eigentliche Skandal ist jedoch moralischer Natur: Aus dem Anspruch der Gesellschaft an Zuwanderer wird ein Anspruch an die Gesellschaft umgedreht – die Mehrheit möge bitte ihre Normen senken. Das ist die Politisierung des Privaten: Nicht mehr der Einzelne schuldet der Gemeinschaft Anpassungsarbeit, sondern die Gemeinschaft schuldet dem Einzelnen Anpassungsabstinenz. Aber „Anspruch“ ist keine herabsetzende Härte, sondern Achtung. Wer an Sprache Ansprüche stellt, traut dem Gegenüber Wachstum zu. Wer sie absenkt, erklärt den anderen insgeheim für überfordert – und nennt es „Empathie“. In Wahrheit ist es Bequemlichkeit: Standards zu halten erfordert Geduld, Lehrfähigkeit, Kursangebote, Konsequenz. Standards zu senken erfordert nur ein Memo.

  • Dringlichkeit rechtfertigt nicht Dauerhaftigkeit: Die notwendige Kurskorrektur lässt sich in Leitsätzen formulieren. Deutsch ist als Infrastrukturgut zu behandeln; Übergangshilfen – Leichte Sprache, Übersetzungen, Dolmetschen – haben Brückenfunktion und dürfen den Weg zur Standardsprache nicht ersetzen. In der Schule sind Rechtschreibung und Grammatik wieder Leistungsfächer, nicht Zonen der Enthaltung aus Angst vor Stigmatisierung.

  • Für eine Sprache der Ansprüche! Eine Gesellschaft, die ihre Sprache ernst nimmt, nimmt den Menschen ernst. Sie glaubt an Lernfähigkeit und Selbstzucht, an den Stolz des Erreichten. Wer hingegen den Sprachanspruch relativiert, erklärt die Bürger – Einheimische wie Zugewanderte – zu Klienten einer Schonpädagogik. Das Ergebnis ist weder inklusiv noch effizient, sondern regellos und unhöflich: ein Lautstrom ohne Verbindlichkeit. Nein: Die Wirtschaft „muss“ ihre Ansprüche nicht senken. Sie muss sie erklären, begründen, belohnen – und sie muss Wege bauen, dass möglichst viele sie erreichen. Der Staat wiederum schuldet nicht die Herabsetzung des Allgemeinen, sondern die Erhöhung des Möglichen.

  • Ansprüche“ sind kein elitärer Reflex, sondern bürgerliche Selbstachtung. Wer sie verteidigt, verteidigt nicht Grammatik, sondern Gemeinsinn. Die eigentliche Frage lautet daher nicht: „Welche Standards sind noch zumutbar?“ – sondern: Welchen Standard sind wir uns selbst wert?“

SCHLUSSANMERKUNG: Noch einmal bis zum Erbrechen: Die Aufrechterhaltung eines Mindeststandards oder gar das Streben nach Perfektion der Muttersprache und eine optimale Ausdrucksfähigkeit zu fordern, hat nicht das Mindeste mit Chauvinismus oder Nationalismus zu tun, sondern stellt eine selbstverständliche Pflege der eigenen Kultur dar. Wer das negiert, der isoliert sich von seiner Vergangenheit und hat jegliches Identifikations-Bewußtsein verloren …

  • KOMPLETTE ZITATE THOMAS HARTUNG:

Man kann an der Anspruchshaltung einer Gesellschaft ablesen, in welcher Verfassung sie ist. Ansprüche sind nichts anderes als verdichtete Selbstbilder: der stillschweigende Vertrag, was man voneinander erwartet – in Schule, Betrieb, Amt, Öffentlichkeit. Wenn nun die Leiterin des Forschungsinstituts für Flucht- und Migrationsforschung und Management an der WU Wien, Judith Kohlenberger, in ihrem Ratgeber „Refugee Talents“ den Unternehmen empfiehlt, ihre Ansprüche an Deutschkenntnisse zu senken, weil die Wirtschaft künftig „stärker auf Geflüchtete angewiesen“ sein werde, dann geht es nicht um eine technische Anpassung. Es geht um das Niveau, um die symbolische Ordnung – und damit um das, was eine Nation im Innersten zusammenhält: die gemeinsame Sprache als Funktions-, Kultur- und Rechtsmedium. Der Vorschlag klingt vordergründig pragmatisch: Der Fachkräftemangel heiligt alle Mittel –  also: Standards runter! Sprache wird neuerdings nicht mehr zur Grundqualifikation, sondern zur Einstellungshürde erklärt, die man flachschleifen müsse, um so „Inklusion“ zu ermöglichen: eine „starke Fetischisierung der Landessprache“ will Kohlenberger erkannt haben. Doch diese Verschiebung ersetzt die probate und pragmatische Frage „Wer ist für die Aufgabe geeignet?“ durch „Wen bekommen wir überhaupt?“. So wird aus Qualifikation bloße Verfügbarkeit, aus bisheriger Präzision Toleranz bis zur Lässlichkeit.

  • Nicht neutral, sondern schädlich

Das ist nicht mehr neutral, nicht mehr effizient, sondern schädlich. Es verlagert die Kosten der Verständigung von der Vorleistung des Bewerbers auf die Dauerbelastung der Organisation. Wo Sprachansprüche sinken, steigen Transaktionskosten: Missverständnisse, doppelte Kontrollen, Sicherheits- und Haftungsrisiken, interne Übersetzungsarbeit. Kurzfristig spart man vielleicht am Eingangstor, langfristig zahlt man im Maschinenraum – und zwar alle: Kollegen, Kunden, Patienten, Bürger. Wer jetzt sogar die Landessprache zur entbehrlichen Zutat erklärt, verwechselt Recruiting mit Betriebsführung. Denn in modernen Gesellschaften ist Sprache keine Zierde, sondern Infrastruktur. Sie trägt Rechtsklarheit, medizinische Sicherheit, technische Präzision, pädagogische Verlässlichkeit. Man kann Straßen breiter machen oder Umleitungen legen – doch wenn man die Beschilderung relativiert, produziert man Unfälle. Die Standardsprache ist die Beschilderung unseres Zusammenlebens. Die Behauptung, man könne die Ansprüche an Deutschkenntnisse „im Betrieb“ kompensieren, verkennt die emergente Intelligenz sprachlich gut geölter Organisationen. Teams, die dieselben sprachlichen Nuancen teilen, arbeiten nicht „elitär“, sondern effizient und gerecht: Aufgaben sind eindeutig, Verfahren überprüfbar, Verantwortungen nachvollziehbar. Wo die gemeinsame Sprache fragmentiert, entstehen Schattenhierarchien: Wer übersetzen kann, bekommt informelle Macht; wer nicht, bleibt abhängig. Ausgerechnet im Namen der „Teilhabe“ schafft man so eine Zweiklassengesellschaft der Verständigung Hybridisierung, Pidginisierung und der Verlust an Differenz.

  • Verschiebungen der Norm

Die aktuelle Migrationsdynamik erzeugt nicht nur die blumig gefeierten “mehrsprachigen Lebenswelten”, sondern katastrophale und alarmierende strukturelle Vereinfachungstendenzen im Deutschen selbst, die die Sprache an den Rande der Auflösung zu bringen droht. In der Kontaktzone unterschiedlicher Erstsprachen entstehen Varianten, die zwischen Code-Switching, alltagssprachlicher Entdifferenzierung und Ansätzen einer Pidginisierung/Kreolisierung schwanken: reduzierte Morphologie (Kasus-/Artikelwegfall), syntaktische Ersatzbildungen („mehr aufgeregt“ statt Steigerungsflexion) oder klammerauflösende Satzmuster („weil er hat keine Zeit“). Die didaktisch bequem erscheinende Maxime „Was wir nicht zwingend brauchen, lassen wir irgendwann weg“ klingt modern, ist aber kulturell kostspielig: Sie verschiebt die Norm von der Vollsprache zur Funktionssprache und trainiert genau jene Fehler ein, die später als „gelebte Regel“ durchrutschen. Dass bereits Kiezdeutsch als Kontaktidiom dokumentiert wurde, bestätigt diese Tendenz. Dirk Schümer prognostizierte schon 2016 in der “Welt”: „Was uns also erwartet, ist keine Sprachenvielfalt, sondern weniger Schriftlichkeit, geringerer Wortschatz – und mehr linguistische Einfalt für alle“.

Das gilt auch außerhalb des Wirtschaftslebens, im Alltag. Formate wie “Tagesschau in einfacher Sprache”, aber auch die türkisch-arabisch beeinflussten Soziolekte der migrantischen Subkultur, die bereits die Jugendsprache dominieren (“Wallah”, “Alter”, “Amenakuiem”, “Inschallah”, “Yalla”, “Brudah ischwör” “hast du Problem”, nebst Schimpfvokabeln) und, mit dem Geusenwort “Kanaksprak” belegt, Eingang in ÖRR-Serien, Theaterstücke und staatliche geförderte Filme finden, tragen zu diesem rapiden sprachlichen Niveau- und Kulturverlust weiter bei.

  • Voranschreitender Sprachverfall

Wer diese Entwicklung bagatellisiert, überträgt folgerichtig die Logik auf die Arbeitswelt: Es entstehen „Arbeitsdeutsch“ – Listen von 300–400 Vokabeln für „schnellen Einsatz“, die zwar kurzfristig Türen öffnen, langfristig aber Transaktionskosten und Sicherheitsrisiken erhöhen. Die Badische Zeitung berichtete schon 2015 über Yamina Mansouri, die aus Algerien nach Deutschland floh, in einem Kurs „Arbeitsdeutsch“ lernte und in einer Bäckerei in Ettenheim-Altdorf einen Job als Spülerin gefunden hat. Parallel wächst in Firmen ein „Bad Simple English“ (EFL/BSE): ein vermeintlich inklusives, tatsächlich fehlerträchtiges Betriebsglobalisch, das die Illusion internationaler Reibungslosigkeit erzeugt und präzise Sachverhalte verschleift. „Sprachverfall“ ist kein griesgrämiges Kulturpessimistenwort. Es beschreibt die politisch herbeigeführte Erosion wechselseitiger Erwartungen. In Schulen wird die Forderung nach Fehlerfreiheit zur „Diskriminierung“, weshalb Abschaffung von Diktaten, Schreiben nach Gehör und Verzicht auf Noten immer öfter zum neuen Normal werden – auch wenn selbst Abiturienten und Studienanfänger katastrophale Defizite in Schreib- und Artikulationskompetenz aufweisen. In Behörden wird “Leichte Sprache” zum Ersatz statt zur Brücke, im Medienmilieu wird die Hochsprache als versnobte Attitüde „privilegierter Milieus“ verächtlich gemacht.

Ergebnis: Die Norm verliert ihren magnetischen Zug. Nicht mehr die Lernenden bewegen sich auf den Standard zu – der Standard bewegt sich auf die Lernenden zu. Das klingt human, ist aber pädagogisch zynisch: Man nimmt den Menschen die Ehre und Würde, selbst noch etwas Herausforderndes, geschweige denn Schwieriges zu meistern.

  • Fünf Treiber der Entdifferenzierung

Die deutsche Geschichte kann anderes erzählen: Arbeiter-, Vertriebenen-, Gastarbeiter- und Spätaussiedlergenerationen haben sich die Sprache in Abendkursen, Betrieben, Vereinen erobert – und wurden dadurch gesellschafts- und handlungsfähig. Sprache war nicht entbehrliches Beiwerk, sondern Voraussetzung für jeden echten Integrationsprozess. Heute dreht man das Prinzip um: Statt Wege hinauf zu bauen, verlegt man die Treppe hinunter. So entsteht kein Humaneffekt, sondern ein Daueralibi. Die Notwendigkeit für “Ankommende“, überhaupt noch Deutsch zu sprechen, im öffentlichen Raum und erst recht zuhause, entfällt so völlig. Zur Verfallspolitik gehören fünf miteinander verkettete Trends:

  • Erstens die Anglisierung: Wenn Wissenschaft, Politik und Unternehmen systematisch ins Englische ausweichen, wird das Deutsche genau dort geschwächt, wo es Innovation präzise benennen müsste; Eliten fördern diesen Export der Fachsprache aktiv:
  • Zweitens das „Imponierdeutsch“: Manager- und Hochschuljargon („Mission“, „Potenzial“, „Investmentphilosophie“) fungiert als Fetisch, der Rationalität behauptet, aber Verständlichkeit verdrängt.
  • Drittens die Instrumentalisierung: Ein normierendes Gerechtigkeits- und Moraldeutsch mit Gender- und Regelmorphologien erzeugt eine Kunstsprache, in der Dissens semantisch entwertet wird.
  • Viertens: die Hedonisierung: Die Hallo-Gesellschaft überträgt private Register (siehe die kreolisierte Alltagssprache) in die Öffentlichkeit; „Lockerdeutsch“ und Schlagzeilenjargon verkürzen Komplexität zu Taktstrichen der Aufmerksamkeit (auch das als “cool“ empfundene Denglish gehört fällt hierunter).
  • Und fünftens die Semantifizierung/das Reframing: Politisches und ökonomisches Nebelsprech („Nahrungsmittelsicherheit“ statt Hungervermeidung, „Inklusion“ als Allzweckwaffe) verschieben Bedeutungslinien, bis Kontrolle über Begriffe Kontrolle über Realitäten wird.
  • Redundante Abstimmungen und Unschärfe

Zusammen senken diese Trends die Reibungsschwelle für Sprachniveausenkung – und normalisieren sie. Ökonomisch betrachtet produziert gesenkte Sprachanspruchspolitik eine dreifache Verzerrung. Erstens führt sie in eine Produktivitätsfalle: Was man an der Pforte spart, verteuert sich im Prozess durch Missverständnisse, zusätzliche Kontrollen, Konfliktmoderation und redundante Abstimmungen; Unschärfe skaliert mit jedem Arbeitsschritt. Zweitens zerstört sie Signale: Zertifikate, Meisterbriefe und anerkanntes Berufsdeutsch verlieren ihren Informationsgehalt, wenn die sprachliche Schwelle als Qualitätsmerkmal entwertet wird. Und drittens externalisiert sie Kosten: Die Kompensation mangelnder Verständigung wird zur Last der Allgemeinheit – sichtbar in Verwaltung, Gesundheitssystem und Justiz, wo Fehler, Rechtsstreitigkeiten und Folgeleistungen zunehmen. Der eigentliche Skandal bleibt dabei moralischer Natur: Aus dem Anspruch der Gemeinschaft an Zuwanderer wird ein Anspruch des Einzelnen an die Gemeinschaft, ihre Standards zu senken; eine Verantwortung wird politisch umgedreht.

Dazu passt die internationale Unternehmenspraxis: Erklärt ein Konzern Englisch zur alleinigen Verkehrssprache, entthront er die Stammhaussprache – mit asymmetrischen Effekten über die Ebenen hinweg. Bemerkenswert sind Gegenstimmen aus der Industrie, die für komplexe Entwicklungsabteilungen die Muttersprache als Ideen- und Sicherheitsanker verteidigen: In der Präzision technischer Detailabsprachen ist das Plus an Verständnis messbar. Auch deshalb sind „Betriebsglobalisch“ und „Arbeitsdeutsch“ schlechte Ratgeber: Sie verschieben Kosten in Qualitätssicherung, Haftung und Governance.

  • Ansprüche“ als Kulturtechnik

Gerade dort, wo Sprache selbst wertschöpfend ist, lassen sich die Standards nicht ohne Funktionsverlust senken: Pressesprecher, die von der Anzeige bis zum Geschäftsbericht in einer Stimme liefern; technische Dokumentare, die Vor-, Bei- und Nachkaufkommunikation kohärent führen; PR-Verantwortliche, die mündliche wie schriftliche Botschaften synchronisieren; Producer, die über Mediengattungen hinweg stringente Dramaturgie sichern; Mediengestalter, die ein Design-Narrativ von der Tüte bis zum 18/1-Plakat tragen. All diese Rollen belegen: Sprachpräzision ist Prozessstabilität. Der eigentliche Skandal ist jedoch moralischer Natur: Aus dem Anspruch der Gesellschaft an Zuwanderer wird ein Anspruch an die Gesellschaft umgedreht – die Mehrheit möge bitte ihre Normen senken. Das ist die Politisierung des Privaten: Nicht mehr der Einzelne schuldet der Gemeinschaft Anpassungsarbeit, sondern die Gemeinschaft schuldet dem Einzelnen Anpassungsabstinenz. Aber „Anspruch“ ist keine herabsetzende Härte, sondern Achtung. Wer an Sprache Ansprüche stellt, traut dem Gegenüber Wachstum zu. Wer sie absenkt, erklärt den anderen insgeheim für überfordert – und nennt es „Empathie“. In Wahrheit ist es Bequemlichkeit: Standards zu halten erfordert Geduld, Lehrfähigkeit, Kursangebote, Konsequenz. Standards zu senken erfordert nur ein Memo.

  • Dringlichkeit rechtfertigt nicht Dauerhaftigkeit

Die deutsche Berufskultur wusste einst, warum sie Standards liebte: Sie schützte die Schwachen, weil sie die Starken band. Der Meisterbrief diszipliniert nicht bloß, er hebt. Gleiches gilt für Sprachstandards: Sie ermächtigen jeden, der sie erreicht, und sie zivilisieren jene, die über andere Macht ausüben. Eine Gesellschaft, die ihre Ansprüche pflegt, ist sozialer als eine, die ihre Ansprüche verwechselt. „Aber wir brauchen doch Leute, sofort!“ Wirklich? Dringlichkeit rechtfertigt nicht Dauerhaftigkeit. Man kann Übergänge organisieren, ohne Standards zu opfern: sprachlich gestufte Tätigkeitsprofile, Mentorenmodelle, arbeitsbegleitende Intensivkurse mit echter Abschlussprüfung, Sprachprämien im Tarif, Qualifikationsleitern, die deutlich signalisieren: Wer Deutsch auf Niveau X erreicht, steigt auf Stufe Y, mit Verantwortung Z. Das beschleunigt Integration – und hält die Norm sichtbar. „Englisch reicht doch in vielen Branchen“? Im Export vielleicht. Aber der öffentliche Raum Deutschlands spricht Deutsch: Recht, Verwaltung, Pflege, Bildung, Innere Sicherheit. Wer dort Standards verflüssigt, privatisiert die Verständigung und verstaatlicht die Folgen.

Die notwendige Kurskorrektur lässt sich in Leitsätzen formulieren. Deutsch ist als Infrastrukturgut zu behandeln; Übergangshilfen – Leichte Sprache, Übersetzungen, Dolmetschen – haben Brückenfunktion und dürfen den Weg zur Standardsprache nicht ersetzen. In der Schule sind Rechtschreibung und Grammatik wieder Leistungsfächer, nicht Zonen der Enthaltung aus Angst vor Stigmatisierung. Berufsdeutsch braucht ein eigenes, bundesweit anerkanntes Zertifikat als Karrierehebel, ergänzt durch Sprachprämien in Tarif- und Betriebsvereinbarungen, die Kompetenz sichtbar vergüten und mit Verantwortung verknüpfen. In sicherheitsrelevanten Bereichen – Medizin, Bau, Verkehr, Polizei, Justiz – sind die Sprachschwellen nicht verhandelbar. Dass von den 240 Nachwuchskräften der Berliner Polizei, die im Frühjahr 2025 ihre Ausbildung begonnen haben, 132 Deutsch-Förderunterricht benötigen, ist da schon ein Skandal.

  • Für eine Sprache der Ansprüche!

Kommunale Integrationspfade verbinden Sprache und Beruf von Beginn an: Vormittags Unterricht, nachmittags Betrieb, unterlegt mit harten Zwischentests. Der Trend zur Verantwortungsverkehrung ist zu beenden; ein Rechtsanspruch auf Leistungen begründet keinen Anspruch gegen Standards. Öffentlich-rechtliche Medien tragen Verantwortung für die Pflege der Hochsprache; sie ist Auftrag, kein Milieumerkmal. Schließlich braucht es eine veränderte Erzählung: Sprache ist kein Torwächter, sondern ein Schlüsselbund – wer Standards hält, verschließt nicht, sondern öffnet geordnet; und genau deshalb sollen Standards sichtbar bleiben, erreichbar sein und belohnt werden. Eine Gesellschaft, die ihre Sprache ernst nimmt, nimmt den Menschen ernst. Sie glaubt an Lernfähigkeit und Selbstzucht, an den Stolz des Erreichten. Wer hingegen den Sprachanspruch relativiert, erklärt die Bürger – Einheimische wie Zugewanderte – zu Klienten einer Schonpädagogik. Das Ergebnis ist weder inklusiv noch effizient, sondern regellos und unhöflich: ein Lautstrom ohne Verbindlichkeit. Nein: Die Wirtschaft „muss“ ihre Ansprüche nicht senken. Sie muss sie erklären, begründen, belohnen – und sie muss Wege bauen, dass möglichst viele sie erreichen. Der Staat wiederum schuldet nicht die Herabsetzung des Allgemeinen, sondern die Erhöhung des Möglichen.

Ansprüche“ sind kein elitärer Reflex, sondern bürgerliche Selbstachtung. Wer sie verteidigt, verteidigt nicht Grammatik, sondern Gemeinsinn. Die eigentliche Frage lautet daher nicht: „Welche Standards sind noch zumutbar?“ – sondern: Welchen Standard sind wir uns selbst wert?“

https://ansage.org/niedergang-der-deutschen-sprache-von-anspruechen-und-sprechen/

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Über Peter A. Weber 199 Artikel
Rebellischer Alter, der der Konformität den Kampf angesagt hat. Keltische Identität bezüglich Kultur, Musik, Philosophie und Mentatlität. Meine Abneigungen: Nationalismus, Rassismus, Fremdenhaß, Ideologien und Fundamentalismus jeglicher Art. Ich lege Wert auf unabhängiges Denken und Schreiben.

9 Kommentare

  1. Das sprichwörtliche „Vom Regen in die Traufe“. Oder: Das Gegenteil eines Fehler ist auch ein Fehler. Die Kritik an einer „Sprache des Autoritarismus“ führt zu deren Verluderung, wenn die Sprache des Autoritarismus abgeschafft wird, statt dieser selbst. Auch das Gendern ändert patriarchale Strukturen keineswegs; es verdeckt sie vielmehr.

  2. Sprache/geschriebene Worte wie u.a. in der Bibel können unterschiedlich interpretiert werden z.b. die Bedeutung der Stadt Jerusalem als Mekka für alle Gläubigen, d.h. die weltweiten Gläubigen sollen Jerusalem besuchen oder sollen sie nur die heilige Botschaft von Zion/Jerusalem in die weite Welt hinaustragen——soviel zum Missbrauch der Sprache als Machtinstrument, deshalb sind die Künste/Malerei/Musik/Tanz usw. ehrlicher/wahrhaftiger und können insbesondere verdrängte/unbewusste Gefühle erwecken und so die Erdenwürmer Vereinen statt mit der Sprache/Bibel zu Spalten

  3. Man kann das ganze Elend der Verhunzung unserer Sprache nur noch mit Sarkasmus und schwarzem Humor ertragen:

    Deutsch-Sprak darf nix länger schwirig-Sprak sein!
    – erster schritt: wegfall der großschreibung – einer sofortigen einführung steht nichts mehr im weg, zumal schon viele grafiker und werbeleute zur kleinschreibung übergegangen sind
    – zweiter schritt: wegfall der dehnungen und schärfungen – diese masname eliminirt schon di gröste felerursache in der grundschule, den sin oder unsin unserer konsonantenverdopelung hat onehin nimand kapirt
    – driter schrit: v und ph ersetzt durch f, z ersetzt durch s, sch verkürtzt auf s – das alfabet wird um swei buchstaben redusirt, sreibmasinen und setsmasinen fereinfachen sich, wertfole arbeitskräfte könen der wirtsaft sugefürt werden
    – firter srit: g, c und ch ersetst durch k, j und y ersetst durch i , ietst sind son seks bukstaben auskesaltet – di sulseit kan sofort fon neun auf swei iare ferkürtst werden, anstat aktsik prosent rektsreibunterikt könen nütslikere fäker wi fisik, kemi oder auk reknen mer kepflekt werden.
    – fünfter srit: wekfal fon ä-, ö- und ü-seiken ales uberflusike ist ietst auskemertst, di ortokrafi wider slikt und einfak. naturlik benotikt es einike seit, bis diese fereinfakung uberal riktik ferdaut ist, fileikt ein bis swei iare. anslisend durfte als nekstes sil di fereinfakung der nok swirikeren und unsinikeren kramatik anfisirt werden.

    In diesem Sinne – file freunlik kruse!
    Ulrich Dittmann

    • …schreiben nach Gehör war der Sündenfall, Anno 1990, die Zeit der Verblödung.
      Auch war es die Vorbereitung zur schwachköpfigen Kohlendioxyd Dogmatisierung/Besteuerung:
      3,5 Milliarden Jahre Klimawandel – Habeck sagt: Schluss jetzt!
      Es hilft jetzt nur noch Flatterstrom und Flachintelligenz…
      Parole: Bleifreie Kriege Plus Abwackprämie €€€ Learjets for Alle! Lets fly to Bazil and safe the globe!
      Gnampf!

  4. Nachtrag: Nicht Adam &Eva sind der Sündenfall sondern das geschriebene Wort/Bibel der Propheten, denn die Bibel spaltet selbst Familien/Brüder und Schwestern, weil sie unterschiedlich auslegbar ist, erst die Befreiung von der Bibel durch die Demokraten/Biden und jetzt wieder unnötiges Leid/Elend durch die Republikaner/Trump——soviel zum diabolismus der Sprache, pfui Teufel

  5. Gut geschrieben!
    Nur, lesen sie die Kommentare. DIE haben ihren Artikel weder gelesen, noch verstanden.
    Memo Antworten. Sätze ohne Aussage. Denglisch von #Oweh. Und #Cource wird das Deutsche niemals lernen bzw. schreiben. Es gibt noch einige mehr, die sich angesprochen fühlen sollten.

    Irgend jemand wird die Kommentare doch lesen?! Streichen sie Kommentare mit unverständlichen (d)englischen Antworten, oder Fragen, oder Aussagen – welche nicht übersetzt wurden.
    Gerade haben sie darauf hin gewiesen, wie wichtig die deutsche Sprache ist. Seien SIE konsequent!

    Zur Facharbeiterpolitik wäre zu sagen, daß es eben Politik ist. Die Unternehmen sparen sich die Ausbildung, und spekulieren auf Goldstücke. Da haben DIE, Unternehmer, aber voll in die Scheixxe gegriffen, wie wir an den sprachlichen Hürden sehen.
    Schon 2010 haben die Unternehmer, extrem, über Mangel an Facharbeitern geklagt. Haben aber selbst keine/ wenig Facharbeiter ausgebildet.
    Zudem haben DIE freie Stellen ausgeschrieben, wo keine Waren. Politik eben. So hat man/ DIE einen Mangel an Facharbeitern künstlich erzeugt. DAS hat sich bis dato nicht geändert.
    Wie wir gesehen haben endete die Schraube 2015 mit Goldstücken – eben nicht! Es kamen ungebildete, in Sprache und Ausbildung, welche keine Bereicherung, sondern Belastung wurden. Nebenbei noch unwillig etwas zu lernen.

    Den gewollten Genozid erwähne ich jetzt mal nur nebenbei. Gruß Karl

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