Joan Baez, I am a Noise – Filmbesprechung

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USA 2023, Start 28.12.2023, Regie: Miri Navasky, Karen O’Connor, Maeve O’Boyle

Der Dokumentarfilm ist ein außergewöhnliches Porträt der legendären Folksängerin und Aktivisten Joan Baez, in dem sie sich, und darin besteht ihr Verdienst, zum offenen Buch macht; sie spricht bemerkenswert offen über ihre psychischen Störungen, die sie zu einer schwierigen Person für ihre Mitmenschen in der Familie, schon früh zur ihrer Schwester Mimi machte, und später zu all ihren Lieben, insbesondere ihrem späteren Ehemann, weil sie, wie sie selbst einräumt, zu verrückt war; verrückt genug, um sich zur weltumspannenden Singularität des Widerstands gegen Kriege, vor allem den Vietnamkrieg, und alle Ungerechtigkeiten dieser Welt zu stilisieren; bipolar gestört: mit lichten Höhen und dunklen Tiefen, die sie in ihrer 60-jährigen Karriere durchlebte: für Menschenmengen in den Konzertsälen und auf Demonstrationen, gar für die Revolution.

Derart ging sie ganz und gar in »leeren« Abstraktionen auf: ihren Vorstellungen von einer gerechten, gewaltfreien Welt, die sie – vollkommen wirklichkeitsfremd – durch ihre Person bewegt wähnte. Um jedes Mal zu erfahren, dass sie die Welt immer nur für den Moment bewegte, den sie geradezu wahnwitzig in die Zukunft einer besseren Welt esoterisch visionierte, unbelehrbar: um zu erfahren, die Welt bleibt wie sie ist: mehr noch: bis heute immer brutaler, ungerechter auf einer nach oben offenen Richterskala.

Reklame für den besseren Zweck

An dieser Stelle wäre es vielleicht hilfreich, wenn sie es vermocht hätte, sich ein wenig zurückzunehmen, die Bedeutung ihrer Person im Hinblick auf die Welt zu relativieren, um sich politisch wirksamer um ihre engere Umgebung zu bekümmern. Ging nicht. Stattdessen lebte sie nach dem Entweder-die-Ganze-Welt-oder-Nichts-Prinzip.
Die leer-visionäre Abstraktion war ihr alles, die engere Umgebung nur wenig wert. In dieser scheiterte sie denn auch bis zum Lebensende, bis auf ein paar Momente, in denen sie ihre Mutter in den Tod begleitete, als wolle sie sich dafür entschädigen für die Vermutung, dass sie vom Vater als junges Mädchen sexuell missbraucht wurde.

Das spricht Joan Baez im Film auf berührende Weise aus. Mehr noch. Sie legt ihre psychischen Störungen schonungslos offen; sogar ihren Psychiater ließ sie aus einer Therapiestunde heraus zu Wort kommen, der für meine Begriffe ihre Störung vertiefte, vermutlich weil er die Problematik ihrer Störung ausschließlich in der Kindheit lokalisierte; den Akzent auf Gefühlstiefe legte, anstatt auf näherliegende Gründe im Alltag. Vielleicht machten psychische Störungen ihr ja zu schaffen, weil sie lebenslang dazu neigte, Menschen, die ihr etwas bedeuteten, zu überhöhen, von denen sie obendrein noch zur übermenschlichen Ikone stilisiert wurde.

Das ging regelmäßig nicht gut. Zurück blieb Joan einsam und verlassen in ihrer Liebe zur leeren Abstraktion: einer anonymen Menge, aus der heraus sie sich von einzelnen Menschen geradezu rührselig-messianisch feiern ließ, was in ihr für kurze Momente große Gefühle auslöste, die schnell verglühten, und die der Alltag zu erzeugen nicht bereit war – es sei denn im Drogenrausch, in den sie nach dem Vietnamkrieg verfiel. Im ewigen Party- und Drogenrausch war sie kaum in der Lage, ihre geradezu manische Sucht nach großen Gefühlen zu zügeln, geschweige hinreichend zu reflektieren, um Höhen und Tiefen ihres Lebens erträglich herunterzufahren.

Sie war und ist halt kein analytischer Kopf. Dafür verdiente sie mit ihrer Kunst ein Vermögen, mit dem sie ihr Leben bis ins hohe Alter mehr recht als schlecht gestalten konnte, von Menschen umgeben, von denen sie sich, so gut es noch ging, bewundern lassen konnte, was ihre Einsamkeit vielleicht etwas abmilderte.

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Über Franz Witsch 16 Artikel
Franz Witsch, geb. 1952, lebt in Hamburg und ist Lehrer für Politik, Geografie und Philosophie. Zwischen 1984 bis 2003 arbeitete er in allen Bereichen der freien Wirtschaft als Informatiker und Unternehmensberater. Heute schreibt er sozialphilosophische Texte und Bücher.

12 Kommentare

  1. Verrückt sein ist doch inn, siehe Trump der gerade wegen seinem ego zum Helden wurde, wer nicht in der Lage ist die unangenehmen Gefühle bei einem Widerspruch im Rudel auszuhalten wird zum unterwürfigen/angepassten rudeltier, das gehirneigene belohnungssystem versucht negative Gefühle mit „Schmerzsymptomen“ zu bestrafen, deshalb ist es so leicht die Erdenwürmer abzurichten, denn die angepassten läufigen Hündinnen machen alles was der Aggressor will, sie sind sogar in der Lage sich mit dem Aggressor zu identifizieren und hassen sich dann selber, siehe schwule AfDler

  2. Nachtrag: Beispiele für die gehirneigene Bestrafung von negativen Gefühlen sind insbesondere sich: ausgegrenzt fühlen, ganz allein zu sein, ohne Schutz ohne Liebe, ohne finanziellen Rückhalt; eine offene Ablehnung/Beleidigung/indirekte Gewalt z.b. durch nachstellungen/observierung/kompromitierungen mit provozierenden fake Gesten z.b. hämisches Grinsen; fake Gesprächen mit Inhalten über einen Vormund/Betreuer/Therapeuten usw., solche negativen Erfahrungen/Gefühle kann man nur durch Lebenserfahrung/Resilienz/seelische Festigung/Yoga/Meditation alleine aushalten

  3. Nachtrag zum Nachtrag: im tierreich/Affen müssen die alphatiere auch ständig die Provokationen/scheinangriffe richtig einordnen um sich nicht ins bocksdorn jagen zu lassen

  4. Hört sich sehr danach an, dass die Dame eine Narzisstin ist/war.
    Viele Revoluzer sind mit einer narzistischen Persönlichkeitsstruktur gesegnet.
    Drum kommt das Volk auch meist vom Regen in die Jauche.

  5. @August
    Narzissen=Alphatiere, denn ohne geltungssucht keine Verausgabung, z.b. Jesus könnte heute noch leben wenn er nicht dieses starke Bedürfnis gehabt hätte unbedingt anderen auf die Sprünge zu helfen/zu belehren, deshalb ist es besser auf einen geltungsposten freiwillig zu verzichten und das Leben zu genießen—-soviel zu dem zwanghaften überlegenheitswahnsinn der fleißigen deutschen Erdenwürmer

  6. Narzissten=Alphatiere sind nur etwa 10% der Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur. Die meisten Narzissten sind erfolglos, bzw. es plagen sie erhebliche Selbstzweifel nicht gut genug zu sein. Einige sind sogar sozial besonders angagiert. Allen gemeinsam ist allerdings, dass sie sich für was Besseres halten.

    • Es ist trotzdem schade, dass Joan Baez hier so schlecht weg kommt. Musikalisch ist sie zwar auch nicht so meins. Künstler in einen Topf mit machtgeilen, größenwahnsinnigen Wichtigtuern zu stecken, finde ich jedoch unangemessen.
      Künstlerisches Schaffen ist Großteils Stressbewältigung, womit man Kunstwerke deshalb oft auch als Seelenmüll identifizieren kann. Sicherlich wird neben völlig harmloser Kunst mitunter so mancher alltägliche Konflikt dabei aufgebauscht, überdehnt oder anderweitig ins Extrem verzerrt, um Kontraste zu erzwingen und dem Künstler Geltung zu verschaffen. Ohne auf Masse zu setzen, kann von Schattierungen kann jedoch kaum ein Künstler auskömmlich leben.
      Insofern sollte man Künstlern schon eine gewisse Portion Charisma zubilligen, um auch die Bodenständigen unter ihnen zu würdigen. Joan Baez haftete zweifellos ein sichtbarer Narziss an, mit den Chaoten in ihrer Branche sollte man sie dennoch nicht gleichsetzen. Dafür war sie schlicht zu harmlos.

  7. @August:“.. es plagen sie erhebliche Selbstzweifel nicht gut genug zu sein..“ genau das ist der springende Punkt, der die overarchiever/perfektionisten in die verausgabungsfalle locken, denn die perverse profitgesellschaft honoriert nur die totale hingabe/verausgabung eines talents aber niemals den Erhalt des talents/Funktionalität um seiner selbstwillen, deshalb ist die Befreiung des Individuums vom Rudel/familie in der perversen profitgesellschaft der eigentliche Akt der selbstbestimmung/-befreiung—-soviel zu dem sogenannten „Erfolg“ von geltungssüchtigen die dann im Alter unter den sogenannten altersgebrechen leiden/dickes Konto aber können nicht mehr das Haus verlassen/nicht mehr über eine blühende Wiese laufen usw.usf, schön dumm

  8. Nachtrag: die Bibel legt den Ursprung der selbstausbeutung u.a. in der Aufforderung/Genesis: „vermehrt euch, bevölkert die Erde und nehmt sie in Besitz“ diese perverse/selbstsüchtige ausbeutung um der ausbeutung/Profit wegen ist die Geiselhaft der unfreien Erdenwürmer/Sklaven—-soviel zu den kleveren sklavenhaltern, die es nicht nötig haben sich selbst auszubeuten und deshalb bis ins hohe Alter ihre Funktionalität/Geist/Körper vollumfänglich genießen können

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