In Bayern ticken die Uhren etwas anders, sagt man. Vergisst aber regelmäßig hinzuzufügen, wie denn anders, also ob der Wecker vor geht oder nach. Dabei funktioniert die Demokratie auf dem Land so unmittelbar, dass es schon zukunftsträchtig ist, zumindest bei Gemeinderatswahlen. Da geschehen echte Wunder. Da überlegen Leute, die gar nicht kandidiert haben, stattdessen als Wahlleiter fungierten, ob sie nicht zur Stichwahl antreten sollen, nachdem der Bürgermeister-Kandidat nicht einmal 50 Prozent geschafft hat, obwohl er keinen Gegenspieler hatte. Er war wohl nicht oft genug im Wirtshaus gewesen, der Schwarzberger Karl, hat scheint’s zuwenig Freibier ausschenken lassen, sonst wäre ihm das vielleicht nicht passiert.
Jedenfalls haben sie ihn gewählt, aber nicht mehrheitlich. Da wollte er nach der Wahl einfach nicht mehr den Dorfdeppen abgeben und schmiss entnervt hin. Mit 46,41 Prozent fehlten ihm 22 Stimmen. Es lag ziemlich genau auf der Höhe der landesweiten Wahlbeteiligung. Wir reden also von einer durchaus bayerntypischen Gemeinde, wenn auch nur statistisch. Nicht dass im ganzen Land sämtliche Bürgermeister- und Landrats-Bewerber abgedankt hätten, nachdem sie keine absolute Mehrheit erreicht hatten, so war es nicht. Aber es bekamen auch andernorts viele Amtsbewerber nicht die nötigen 50 Prozent und müssen sich daher einer Stichwahl stellen. Jedoch als einziger Kandidat zu scheitern, das war schon hart, zumal es eben keinen Kontrahenten für die Stichwahl gab.
Noch härter war, dass der Wahlleiter, der Nichtkandidat Hubert Mangold, immerhin 55 Stimmen bekam, wie ungültig auch immer. Nun ist zwar das Bayerische Kommunalwahlgesetz sehr basis-freundlich, aber soweit geht es natürlich auch wieder nicht, dass man gar nicht antreten müsste, um dennoch gewählt werden zu können. Die Wahlberechtigten dürfen ansonsten treiben, was sie wollen: Einzelne KandidatInnen vorhäufeln und streichen, kumulieren und panaschieren, also querbeet durch alle Listen kreuzeln, bis der Arzt kommt, weil die Wahlhelfer reihenweise umkippen beim Auszählen. Natürlich dürfen sie auch die kompletten Wahlvorschläge der Parteien und Wählervereinigungen übernehmen sowie versehentlich falsch und damit ungültig, absichtlich ungültig oder gar nicht wählen. Nicht zielführend wäre zum Beispiel, auf den Stimmzettel den Abt von Kloster Ettal zu schreiben, wenn der gar nicht zur Wahl stünde, oder eben einen anderen Kandidaten, der überhaupt keiner ist.
Damit nähern wir uns also der Region, in der dies tatsächlich vorkam. Dort, wo die Garmischer Autobahn im Nichts bzw. in die alte Bundesstraße 2 mündet, wo das Ettaler Mandl grüßt, wo die Welt noch oder schon wieder in Ordnung und die CSU weitgehend abgemeldet ist, weil plötzlich alle nur noch Unabhängige Wähler sein wollen, da liegt ein weit verstreutes Dorf, ein Geheimtipp der Postdemokratie zwischen grünen Wiesen und Hängen mit einigen Gehöften, darunter historische Bauernhäuser als Flachsatteldachbau mit Traufbandwerk, teils mit Bundwerk-Kniestock und Hochlaube am Zierbund sowie Blockbauten auf Feldsteinunterbau als Kornkästen samt einer Kapelle und einer Kirche inmitten von nichts als Schwaigen. Die Ortsteile drumherum tragen lauschige Namen: Apfelbichel, Grafenaschau, Plaicken, Vorderbraunau, Hinterbraunau und Fuchsloch. Schwaigen gibt es also eigentlich nur als Zusammenschluss von Weilern und Dörfern, es gehört verwaltungsmäßig zu Ohlstadt. Dennoch hat es ein eigenes Rathaus mit 8 Gemeinderäten und einem Bürgermeister. Der mag aber jetzt nimmer.
Nun redet man offen darüber, ob man das Schwaigen Schweigen brechen darf: Wer hat die Stimmzettel aus dem Feuerwehrhaus in die Lindach geworfen? Sie mussten kurzfristig nachgedruckt werden, was sicherlich weniger aufwändig war als dies bei den Riesenlappen mit den 932 Namen in München gewesen wäre. Die waren ausgeklappt 1,38 Meter breit und hätten leicht als Zeltplanen getaugt, wären sie nur wasserdicht gewesen. In Schwaigen ging das bei den knapp 600 Einwohnern und entsprechend weniger Wahlberechtigten deutlich leichter. Dennoch ein klarer Fall für die Polizei, weit schlimmer als Maibaumstehlen: Wahlsabotage!
Die hatte sich bereits bei der Aufstellungsversammlung angekündigt. Da hatte der 66-jährige Schwarzberger, der schon seit 1996 den Rathauschef gibt, einen schweren Dämpfer hinnehmen müssen: Von den 67 möglichen Stimmen konnte er nur 36 auf sich vereinigen. Immerhin mehr als die Hälfte, aber eben doch irgendwie blamabel. Mangels Rückhalt wollte er schon damals alles hinwerfen, zumal er ahnte, wie die Wahl erst ausgehen würde. Ihn hat das Ergebnis also nicht wirklich überrascht: „Das war für mich klar. Das hat sich so abgezeichnet.“
Was aber nicht so klar ist: Wie der 49-jährige Mangold, der als Wahlleiter fungierte, an die 55 Stimmen kam. Er konnte auch noch nicht sagen, wie er mit der aktuellen Situation umgehen und ob er sich einer Stichwahl stellen kann. Er müsse die Sache erst mit seiner Familie und seinem Arbeitgeber besprechen. So läuft das auf dem Dorf: Man fragt erst mal zuhause und beim Chef nach, ob man das überhaupt darf. Vielleicht sagt auch der Pfarrer: „In Gott’s Namen, dann mach’s halt“. Aber was wird die Wahlleitung in Ohlstadt dazu sagen, oder gar der Landkreis-Wahlleiter in Garmisch-Partenkirchen? „Passt scho‘, dann macht’s halt nachad der Andere“?! Selbst wenn jetzt der jüngere Telekom-Referent am 30. März tatsächlich antreten dürfte, fände er keinen Gegenkandidaten mehr. Eine Stichwahl ist eben was anderes als ein Schafkopf-Solo. Wahrscheinlich muss es doch einfach im Wirtshaus ausgekartelt werden. Dann könnten die Schwaigener ihre Stimmzettel unbeschriftet lassen.
Doch auch aus einem leeren Stimmzettel dürfte der Wählerwille kaum eindeutig herauszulesen sein, was jedoch zwingend vorgeschrieben ist. So humorlos ist das Wahlgesetz. Bei der Münchner Oberbürgermeisterwahl soll es eine/r besonders gut gemeint haben mit dem Seppi Schmid (CSU), und wollte ihn neben Dieter Reiter (SPD) nicht ganz verkommen lassen. Er oder sie vergab also zur Güte zwei Stimmen, die daher niemandem zugute kamen, nicht einmal der Statistik. Dabei hätte es noch weitere Oberbürgermeister-KandidatInnen gegeben, die aber explizit nicht gewählt werden sollten: Sabine Nallinger von den Grünen oder Brigitte Wolf (DIE LINKE) mochte dieser Souverän ausdrücklich nicht, das war ganz klar zu erkennen. Irgendwie war er ungerecht, dieser Wähler, wahrscheinlich nicht besonders frauenfreundlich. Auch gendermäßig nicht korrekt drauf. Sonst hätte er besser gemischt. Vielleicht dachte er bei seiner einsamen Entscheidung im Wahllokal an die GroKo in Berlin oder an Krokusse im Englischen Garten. Wie auch immer, solche Musterdemokraten üben sich auch in Schwaigen.
Dort herrscht eine ganz spezielle Form direkter Demokratie. Jeder kennt jeden, alle sind um ein paar Ecken miteinander verwandt, versippt und verschwägert, und können sich daher kaum noch riechen, weil allen derselbe Stallgeruch anhaftet. Deswegen liegen die Ortsteile auch so weit auseinander. 25 Personen pro Quadratkilometer können sich gut aus dem Weg gehen und brauchen eigentlich keinen „Moar“, wenn’s der alte schon nicht mehr machen will, soll oder darf. Vielleicht schickt die Bezirksregierung von Oberbayern ihnen einen kommissarischen Zwangsverwalter, den sie dann auflaufen lassen.
So unabhängig und frei haben Wähler selten agiert. Sie haben einfach dem Wahlleiter ihre Stimmen gegeben, der gar nicht auf dem Zettel stand. Ein ungewöhnliches Verfahren, zugegeben. Freilich: Notorische Legalisten können an dieser Wahl etwas regelwidriges entdecken oder sie gar für ungültig erklären. Davon soll hier keine Rede sein. Denn dieses Schwaigen hat vielleicht doch Zukunftspotenzial. 2011 gab es dort immerhin noch 5 freie Kindergartenplätze neben 15 bereits belegten.
Wer also unbedingt eine konkurrenzlose kommunalpolitische Karriere hinlegen möchte … bis dahin geht sogar die Autobahn von und nach München. In sehr schöner Landschaft so nah am Fuße des höchsten Gipfels der deutschen (naja, nicht ausdrücklich Demokratischen) Republik. Es muss halt noch ein bissel geübt werden. Das wird schon noch.
Selbst in der Landeshauptstadt hat man es fertig gebracht, die Hinweiszettel in den Wahlkabinen, wieviele Stimmen zur Wahl der unterschiedlich großen Bezirksausschüsse in den einzelnen Stimmkreisen zu vergeben seien, bunt gemischt über das gesamte Stadtgebiet zu vertauschen. Da wurden bestimmt auch diverse Stimmenkontingente zuwenig oder aber überzählig vergeben. Strenge OSZE-Wahlbeobachter hätten hierin eine „Unregelmäßigkeit“ erkennen können. Man sollte das allerdings nicht allzu eng sehen, wo doch sowieso kaum Platz war, die deutlich wichtigeren Stimmzettel zur Stadtratswahl überhaupt ganz auseinanderzufalten. Darauf hatten die Großstadt-Nomaden wenig Lust; die Münchner Wahlbeteiligung lag mit 42 Prozent extrem niedrig. Am besten gar nicht groß drüber reden! Vielleicht hilft auch hierzu das kleine Schwaigen.
Wolfgang Blaschka
Bevor es die Berliner mit Wahlen probieren, sollten sie es mit ABwahlen testen.
Am besten mal Wovereit, – den Zerstörer der berliner Infrastruktur – , davonjagen.
Ja, er klebt zwar an seinem Posten, weil er aber seine Taschen voll haben muss und was besseres als sein schnelles Verschwinden Berlin nur nützlich sein kann, ist meine Wahlempfehlung: …. zuerst muß Wovereit weg.
In einer kleinen Gemeinde in Mecklenburg hat der Bürger überhaupt keine Wahl für seinen Bürgermeister zu stimmen.Es wird zuerst behauptet ,das niemand bereit ist dieses Amt zu übernehmen.Dann erfolgt eine Wahl der Gemeindevertretung.Diese denselben Interessen angehörige Gruppe wählt dann urplötzlich einen Bürgermeister aus den eigenen Reihen und beruft sich auf irgendeine Klausel.Der normale Dorfbewohner kennt sich da sowieso nicht aus.So kann man eine Bürgermeisterwahl noch viel besser vor schrecklichen Demokraten schützen.